2. Oktober: Gedenktag der Psychiatrie-Toten

Andrea Hanna Hünniger

Das Statistische Bundesamt zieht eine bittere Bilanz: Von den rund 500.000 Menschen bundesweit, die durchschnittlich einen Monat in der Psychiatrie waren, sind im Jahr 2023 fast 3.000 dort gestorben. Psychiatrie scheint lebensverkürzend – dort stirbt es sich fünfmal häufiger als außerhalb. Viele Tote kämen zudem gar nicht in den Statistiken vor, weil sie vorzeitig entlassen würden. Die Zahlen sind also schon verharmlosend.

Andererseits haben es psychische Krankheiten an sich, dass die Betroffenen auch körperlich schwächer sind als gesunde Menschen. Die höhere Sterberate läge nicht an der psychiatrischen Behandlung, argumentieren viele Psychiater*innen. Allerdings sei lange Zeit viel zu wenig auf körperliche Probleme der Patient*innen geachtet worden: Haltungsschäden, Kettenrauchen, schlechte Ernährung – das wurde unter „Begleiterscheinug“  abgehakt.

Deshalb wurde der 2. Oktober vom Bundesverband-Psychiatrie-Erfahrener e.V. zum Gedenktag der Psychiatrie-Toten erklärt.

Der Verband der Psychiatrie-Erfahrenen kritisiert besonders den Einsatz von starken Psychopharmaka. Zwar seien die medizinischen Nebenwirkungen – Diabetes, plötzlicher Herztod – in den vergangenen Jahren reduziert worden. Doch beeinflussten diese Medikamente die Persönlichkeit der Patient*innen und führten so indirekt zu einer erhöhten Suizidrate.

Ein anderes Problem ist zudem Polizeigewalt gegenüber psychisch kranken Menschen. Vor einigen Jahren erschossen Berliner Polizist*innen einen Mann, der in einem Brunnen am Alexanderplatz badete und ein Messer bei sich trug. Der Mann war bereits psychiatrisch bekannt.

Psychopharmaka sind Drogen, argumentieren die einen. Nach dem Motto: Wenn man da zusammengespritzt wird, und vor sich hin dümpelt, ist klar, dass man irgendwann eine Depression bekommt. Und das ist ein wichtiger Punkt, auch wenn es dafür keine Beweise gibt. In den letzten 10 Jahren hat es jedoch allmählich ein Umdenken in den psychiatrischen Anstalten stattgefunden. Patient*innen würden in Entscheidungen eingebunden und Zwangsmedikamentierung finde nur noch in Notfällen statt – wenn die Patient*innen durch ihr Verhalten sich oder andere gefährde. Allerdings gefährde chronische Unterfinanzierung die Versorgung: In 14 psychiatrischen Kliniken allein im Ruhrgebiet sollen 140 Stellen gestrichen werden. Dazu kommen Haushaltskürzungen um rund 5%. Dabei wird gerade in der Psychiatrie Zeit und genügend Personal benötigt, um den Menschen zu helfen.

Dennoch werde willkürlich entschieden, wer gefährlich sei, kritisiert Matthias Seibt, Sprecher des Verbands der Psychiatrie-Erfahrenen. Tatsächlich werden allein in Nordrhein-Westfalen jährlich rund 20.000 Menschen auf der Grundlage des Psychisch-Kranken-Gesetzes zwangseingewiesen – auch dafür muss eine „Selbst- oder Fremdgefährdung“ bestehen. Wer bereits einen gesetzliche Betreuung hat, kann „zum eigenen Wohl“ eine Zwangseinweisung bekommen.

Laut einer Studie der Siegener Universität treffen Zwangseinweisungen besonders alte Menschen, Wohnungslose und Alleinstehende. Das ist vor allem auch ein gesellschaftliches Problem: Wer nervt oder nicht ins System passt, wird eben eingewiesen.

Am 2. Oktober wird also für mehr offene und ambulante Einrichtungen plädiert, damit die Patient*innen den Kontakt zur Außenwelt nicht verlieren. Psychiatrie-Erfahrene haben keine Lobby, mit dem Gedenktag für Psychiatrie-Tote wollen sie das ändern und für mehr Aufmerksamkeit sorgen.

 

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