31. März: Zwangsassimilation ethnisch türkischer Menschen in Bulgarien

Melina Borčak

„Mein Vater starb vor vielen Jahren. Sie fragten nach seinem Namen. ‚Rüstem’, sagte ich. Sie änderten es zu ‚Radi.’“ So beschreibt ein älterer Mann den Moment, als er von bulgarischen Beamten gezwungen wurde, den Grabstein seines eigenen Vaters zu schänden. „Die Namen waren auf den Stein geschrieben. Sie befohlen uns, sie zu übermalen.“

Ethnisch türkische Menschen waren dem sozialistisch-nationalistischen Regime Bulgariens ein Dorn im Auge. Erst mussten türkische Namen verschwinden, dann die Sprache, die Kultur, ihre Religion, der Islam, und schließlich, 1989, die Menschen selbst.

Ab Mitte der 1940er verfolgte die sozialistische Regierung Bulgariens eine brutale Assimilationspolitik gegen die Minderheiten im Land. Jede Andeutung von Vielfalt, jede Abweichung von der Mehrheitsgesellschaft musste einer ethnisch und kulturell einheitlichen Vorstellung von der bulgarischen Nation weichen.

Besonders aggressiv war die Politik gegen Muslim*innen, ethnisch türkische Menschen, Pomak*innen, sowie muslimische Rom*nja. Seit Jahrhunderten lebten sie in ihren Dörfern und Städten, kannten keine andere Heimat. Doch sie waren für die Regierung nicht bulgarisch genug.

Die Verfolgung bulgarischer Türken intensivierte sich ab 1984. Die Regierung nannte diese Kampagne der Zwangsassimilierung damals „Wiedergeburt”. Es begann mit der Änderung von Namen. Ethnisch türkische Menschen mussten bulgarische, christliche Namen annehmen.

Das Dorf Gorski Izvor, an der bulgarischen Grenze zu Griechenland, musste als Prototyp des Terrors herhalten. Mitten in der Nacht wurde es umzingelt von Polizisten mit Hunden und Soldaten mit Panzern. Sie gingen von Tür zu Tür, rissen die Menschen aus dem Schlaf und aus ihren Betten. Sie verteilten neue Ausweise mit christlichen, slawischen Namen.

Dies, so befahlen es Polizei und Militär unter Androhung von Waffengewalt, dies würden die neuen Namen und Identitäten der Menschen sein. Wenn bulgarische Beamte entschieden, jemand würde von nun an Hristo oder Marija heißen dann konnte man nicht widersprechen, musste die Zuweisung neuer Namen, Ausweise und Identitäten über sich ergehen lassen.

Heute vor 37 Jahren, am 31. März 1985, verkündete die bulgarische Regierung, sämtliche türkische Namen seien nun in bulgarische geändert worden – und dass die Assimilierung weitergehen würde.

Als nächstes folgte unter Androhung von Strafen das Verbot, in der Öffentlichkeit Türkisch zu sprechen. Türkischsprachige Zeitungen wurden verboten, türkische Schulen sowie Moscheen geschlossen, letztere teilweise als Mülldeponien benutzt.

Proteste gegen diesen Rassismus wurden mit Panzern und Waffen in Blut ertränkt. Besonders erschütternd für die Gemeinde war der Mord an Türkan Feyzullah, die zum Zeitpunkt ihres Todes ein nur 18 Monate junges Baby war. Bei einer friedlichen Demonstration gegen die Bulgarisierung wurden sie und zwei weitere Menschen getötet, Dutzende verwundet. Türkan starb sofort, in den Armen ihrer Mutter.

Auch außerhalb dieser Demonstrationen war es gefährlich. Teilnehmende massenhafter Hungerstreiks wurden verhaftet und durch Abschiebungen nach Österreich ins Exil gezwungen, ohne dass sie ihre Familien kontaktieren konnten. Andere Menschen, die sich gegen das Auslöschen ihrer Identität wehrten, wurden gefangen genommen und in Lager transportiert. Tausende Menschen wurden eingesperrt – ohne Anklage, ohne Gerichtsprozess, sie wurden gefoltert und zur Zwangsarbeit gezwungen.

Das größte dieser Lager war Belene, das auf einer Insel in der Donau lag. Belene wurde früher offiziell als „Arbeits- und Umerziehungslager” bezeichnet, doch heute wird es auch in Bulgarien oft als Konzentrationslager eingestuft. Erst als Gefängnis für politische Gegner des Regimes benutzt, wurde es ab Mitte der 1980er zu einem Ort des Grauens für ethnisch türkische Menschen. Viele Menschen starben durch die grausame Behandlung in den Lagern, durch Hunger, Folter oder Erschöpfung durch Zwangsarbeit.

1989 wurde klar, dass der bulgarischen Regierung nicht einmal die Zwangsassimilation dieser Menschen genug war. Die jahrelange Verfolgung bulgarischer Türken kulminierte darin, dass der Präsident Bulgariens sie offen dazu aufforderte, das Land zu verlassen und die Grenzen des Landes öffnete. Tausende Gefangene und ihre Familien wurden aus dem Land deportiert, andere flüchteten aus Angst. 360.000 ethnisch türkische Menschen mussten ihre Heimat verlassen.

Doch nicht alle wurden vertrieben: Teenager und junge Erwachsene, die ihren Militärdienst noch nicht abgeschlossen hatten, waren oft gezwungen zu bleiben. Wut, Verzweiflung und Angst, ihre eigene Gemeinde ermorden zu müssen, verbreiteten sich. Einige junge Männer begingen Suizid.

Viele Bulgaren nutzten das Leid, um die Häuser ihrer vertriebenen Nachbarn zu lachhaften Preisen zu kaufen. Denn wer vertrieben wird, wer gezwungen ist, in einem unbekannten Land von null anzufangen, der ist verzweifelt oder hilflos genug, das eigene Zuhause auch für wenig Geld herzugeben.

Nach dem Fall des kommunistischen Regimes durften die Menschen wieder zurück. Doch nach all dem, was sie zuvor überlebten, entschied sich weniger als die Hälfte der Menschen für eine Rückkehr in ihre Heimat. Trotz allem sind ethnisch türkische Menschen auch heute die größte Minderheit im Land. Rund eine von zehn Personen in Bulgarien ist ethnisch türkisch.

Obwohl das Lager Belene in Bulgarien mittlerweile auch als Konzentrationslager bezeichnet wird, ist die Aufarbeitung der Verbrechen, die dort stattgefunden haben, bis heute erschwert: Die linke Bulgarische Sozialistische Partei blockiert die Öffnung des Konzentrationslager-Archivs, obwohl deren Öffnung im Assoziierungsvertrag mit der EU als Bedingung festgelegt wurde.

Erst 2012 hat das bulgarische Parlament diese Verbrechen verurteilt. Doch bisher wurde niemand dafür gerichtlich bestraft, die Opfer erhielten keine Entschädigung und die Erinnerung an die Ungerechtigkeit hat in Bulgarien kaum Raum. Die EU hat all das scheinbar vergessen und bemüht sich nicht darum, Gerechtigkeit für die Überlebenden zu fordern.

Doch während im Laufe der Jahre aus Überlebenden Tote werden, gibt es für die Gemeinde einen schwachen Trost: Ihre Grabsteine können endlich wieder die richtigen, türkischen Namen tragen.

 

Zurück zum Pluralistischen Gedenkkalender