12. Januar: Widerstand der Herero und Nama im heutigen Namibia

Darija Davidović

Zwischen 1904 und 1908 töteten deutsche Kolonialtruppen bis zu 80.000 Angehörige der Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama. Die Kolonialverbrechen gelten als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts. Im Mai 2021, knapp 110 Jahre danach, erfolgte die Anerkennung der Kolonialverbrechen als Genozid vonseiten Deutschlands, die mit einem Versöhnungsabkommen mit Namibia besiegelt wurde. Das Abkommen sieht eine Wiederaufbauhilfe von rund 1,1 Milliarden Euro vor. Das Geld soll in ein Programm „zum Wiederaufbau und zur Entwicklung“ fließen. Eine direkte Entschädigung der Nachkommen ist jedoch nicht vorgesehen. Deswegen üben Vertreter*innen der
Herero und Nama sowie Oppositionelle in Namibia heftige Kritik am Abkommen. Zudem wird eine fehlende Beteiligung von Opfergruppenvertreter*innen an den Verhandlungen bemängelt. Ferner lehnen Vertreter*innen der Herero den Vertrag auch deswegen ab, weil sich Deutschland moralisch, aber nicht juristisch verantwortet.

Von 1884 bis 1915 war das Deutsche Reich Kolonialmacht im heutigen Namibia, das damals als „Deutsch-Südwestafrika“ bezeichnet wurde. Als sich die Bevölkerungsgruppe der Herero und Nama gegen die Unterdrückung der Kolonialherren auflehnten, die weitflächig am 12. Januar 1904 im heutigen Zentralnamibia ihren Anfang nahm, wurden deutsche Siedler*innen und koloniale Einrichtungen angriffen, Militärstationen belagert sowie Bahnlinien blockiert. Daraufhin erteilte Lothar von Trotha, Gouverneur und Oberbefehlshaber von Deutsch-Südwestafrika, den „Vernichtungsbefehl“: Alle Herero sollten das Gebiet der Kolonie verlassen. Alle, die sich noch innerhalb des deutschen Gebietes befanden, sollten erschossen werden. Auf Frauen und Kinder sollte ebenfalls keine Rücksicht genommen werden. Nach dem niedergeschlagenen Widerstand
wurden 1904 die ersten Gefangenenlager in Ojahandja, Windhuk und Swakopund errichtet und die Gefangengenommen zu Zwangsarbeit genötigt. Aufgrund der Zustände in den Konzentrationslagern starben viele an Krankheit und Kälte, darunter auch Kinder.

Als „Hererotag“ bezeichnet, wird am 23. August jeden Jahres das offizielle Gedenken an den Genozid an den Herero und Nama begangen – zudem wird an die Schlacht am Waterberg von 1904 erinnert, die von Samuel Maharero angeführt wurde. An den Widerstand gegen die deutschen Kolonialherrscher, der sich in einem Zeitraum vom 12. Januar bis zum 11. Juni 1904 erstreckte, wird am 12. Januar jeden Jahres vor allem vonseiten ziviler Organisationen und Gruppen mit zahlreichen Gedenkveranstaltungen erinnert. Kern des Gedenkens ist die Auflehnung gegen die Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung der Herero und Nama, denen aufgrund der Ausdehnung kolonialer
Machtstrukturen ihre Existenzgrundlage entzogen wurde.

Um die ökonomische Ausbeutung, die Gewalt sowie die Benachteiligung der Herero und Nama im kolonialen Rechtssystem zu legitimieren, verbreiteten sich unter der weißen Bevölkerung zunehmend rassistische Ideologien, die vor allem durch neuankommende Siedler*innen aus dem Deutschen Reich gefestigt wurden. Dagegen setzten sich Angehörige der Herero und Nama zu Wehr, indem sie sich organisierten und Waffen, Pferde und Vorräte in großen Mengen aufkauften. Indessen wurde die Gewaltbereitschaft der deutschen Siedler*innen und insbesondere des deutschen Militärs gegen Herero und Nama durch gezielte Propaganda und Hetze geschürt und das Bild bestialischer
Mörder*innen verbreitet. Was folgte, war ein monatelanger Kolonialkrieg, ein äußerst brutales Vorgehen gegen die Widerständischen sowie die Internierung tausender Menschen in Konzentrationslager.

Verbrechen des europäischen Kolonialismus sind bis heute weder fester Bestandteil der offiziellen deutschen noch der europäischen Erinnerungskultur. Jahrzehntelang stellte die koloniale Vergangenheit Deutschlands einen blinden Fleck in der hiesigen Erinnerungsarbeit dar. Dass sich dieser Umstand in den letzten Jahren sukzessive verändert hat und koloniale Gräueltaten sowie die damit einhergehende historische Verantwortung in ein öffentliches Bewusstsein getreten sind, ist vor allem zivilen Organisationen und Aktivist*innen zu verdanken. Sie haben die Grundlage für eine Debattenkultur geschaffen, die es ermöglicht, Fragen nach historischer Verantwortung und nach der
Anerkennung der Opfer kolonialer Verbrechen zu stellen. Somit sind nicht nur jene notwendigen Voraussetzungen dafür gegeben, Kolonialverbrechen und deren Opfer in ein (ziviles) kollektives Erinnern und Gedenken zu überführen, sondern auch das Augenmerk auf Kontinuitäten von kolonialen Machtstrukturen zu werfen.

Am Beispiel Namibia etwa lassen sich derartige koloniale Kontinuitäten in verschiedenen Facetten als Ist-Zustand festmachen: Rund 70 % des Grundbesitzes liegt nach wie vor in der Hand von Deutsch-und Südafrikastämmigen Bewohner*innen und rund 17 % in den Händen Schwarzer Einwohner*innen. Angehörige der Herero und insbesondere der Nama sowie der Oorlam werden sozial und wirtschaftlich benachteiligt. Sie leben trotz aktuellen Landreformen, die eine Aufhebung der ungerechten Landverteilung vorsieht, unter prekären Bedingungen. Neben der ökonomischen und sozialen Benachteiligung wiegt das historische Trauma schwer – es wird von Generation zu Generation weitergegeben und prägt nach wie vor Familien und Gemeinschaften maßgeblich. In Deutschland wird das erinnerungskulturelle Defizit hinsichtlich der Kolonialverbrechen mittlerweile anerkannt. Dennoch zeugen Reaktionen auf die Forderungen nach materieller Entschädigung sowie hitzig geführten Debatten – etwa um die Umbenennung von Straßennamen – von einer politisch, historisch und kulturell gefestigten Ignoranz gegenüber der eigenen kolonialgeschichtlichen Vergangenheit.

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