9. Juni: Nagelbombenanschlag in der Keupstraße, Köln (NSU)

Ulf Aminde

Am 9. Juni 2004 explodierte in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe mit 800 Zimmermannsnägeln vor einem Friseurgeschäft. Die auf Massenmord ausgerichtete Bombe verletzte mehr als 22 Personen, vier davon schwer.

7 Jahre lang wurde in einer Täter-Opfer-Umkehr gegen die Betroffenen und Direktbetroffenen ermittelt. Die ermittelnden Behörden nutzten jede Möglichkeit, um dem Inhaber des Friseurgeschäftes, so wie anderen Geschäftsinhaber*innen auf der Keupstraße zu unterstellen, selbst hinter dem Anschlag zu stehen. 7 ganze Jahre lang wurden die Opfer von den Polizei- und Steuerbehörden überwacht, verdächtigt und unter Druck gesetzt. 7 Jahre lang wuchs in der Keupstraße damit auch das Misstrauen untereinander.

Erst 2011 wurde klar, was die Betroffenen und Direktbetroffenen lange geahnt hatten: beide Anschläge waren rechtsterroristisch motiviert und wurden vom neonazistischen NSU-Netzwerk begangen. Der Coiffeur Hasan Yıldırım sagte: „An diesem Tag fühlte ich mich wie ein freier Vogel, denn wir konnten diesen Druck von der Polizei nicht mehr ertragen.“

Die Anschläge zielten in ihrer rassistischen Ideologie deutlich auf eine Verunsicherung der (post)migrantischen Gesellschaft. Die rassistischen Ermittlungen der Behörden, die 7-jährige Täter-Opfer-Umkehr, die Unterstellung, die Bewohner*innen hätten etwas mit dem Bombenanschlag zu tun und vor allem, die fehlende Solidarisierung der Stadtgesellschaft Köln mit den Bewohner*innen in der Keupstraße, mit den Betroffenen und Direktbetroffenen – all dies nennen die Menschen in der Keupstraße heute: die „Bombe nach der Bombe“ und meinen damit die rassistischen Ermittlungen und Unterstellungen gegen sie selbst.

Auch nach dem NSU-Prozess in München, der bei weitem nicht das gesamte neonazistische Netzwerk und die Verstrickungen in Verfassungsschutz und Behörden aufgedeckt hat, kämpfen die Betroffenen mit solidarischen Initiativen weiter und fordern Aufklärung, Entschädigung, Konsequenzen und Erinnerung.

In der unmittelbaren Nähe des Tatorts an der Keupstraße soll nach den Wünschen der Betroffenen ein Mahnmal errichtet werden, das an die beiden in Köln vom NSU-Netzwerk begangenen Bombenanschläge erinnert und die Geschichten der Betroffenen und die Kämpfe gegen Rassismus und Antisemitismus sichtbar macht.

Der Künstler Ulf Aminde hat mit der Autorin Svenja Leiber und in vielen Gesprächen mit Betroffenen und solidarischen Initiativen einen hybriden Erinnerungsort entwickelt, der einen konkreten Platz im öffentlichen Raum entstehen lässt, mit einer Betonbodenplatte, die eine 1:1 Kopie des Fundamentes des angegriffenen Hauses in der Keupstraße darstellt. Dazu kommt mit Hilfe von Augmented Reality ein digitales, kritisches Filmarchiv, in dem die Kämpfe und Stimmen der Zeitzeug*innen und Betroffenen von Rassismus und Antisemitismus hörbar gemacht werden.

Die Initiative „Herksin Meydanı – Platz für Alle“ hat kürzlich direkt gegenüber der Ecke, an der das Mahnmal entstehen wird, einen „Raum für Alle“ bezogen. Er wird am Vorabend des Gedenktags eröffnet und soll ein Ort der Begegnung, Erinnerung, Kunst und Kultur sein und Menschen aus der Straße, dem Viertel, der Stadt zusammenbringen.

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