Massaker Isenschnibber Feldscheune

Andrea Hanna Hünniger

Das Massaker in der Isenschnibber Feldscheune ist ein weiteres Zeugnis für die Gnadenlosigkeit und die kalte Mordgier der Nationalsozialisten. Gerade, weil die Toten noch einmal in aller Öffentlichkeit zu sehen waren. Nicht versteckt in den Kellern der Gaskammern, nicht in Foltergefängnissen. Sie litten und starben vor aller Augen. Und die Mordlust brach auch dann nicht in sich zusammen, als die Niederlage der Nazis abzusehen war. Als eine Kapitulation nur einen Tag später das Ende des Leids hätte bedeuten können.

Wenn es schon dem Ende zugeht, so die perfide Logik, so soll es keine Überlebenden geben, die, so viel Reflexion war immer schon gegeben, die Verbrechen bezeugen.

Ungefähr so dachten am Nachmittag des 13. April 1945 der NSDAP-Kreisleiter der alten Hansestadt Gardelegen in Sachsen-Anhalt, Gerhard Thiele, und mehrere Offiziere der Waffen-SS.

Tags zuvor waren mehrere Todesmärsche mit Häftlingen aus verschiedenen Konzentrationslagern, die meisten aus Nebenlagern der Lager Mittelbau-Dora im Harz und Neuengamme bei Hamburg, in Gardelegen zusammengetroffen. Mehr als 1000 Menschen, allesamt unterernährt und entkräftet. Sie gehörten zu insgesamt mehr als 3000 Lagerinsassen, die in zwei Zügen eine mehrtägige Odyssee hinter sich hatten. Wo immer es möglich war, räumte die SS ihre Lager, bevor sie von alliierten Truppen überrollt wurden.

Auch in Sachsen-Anhalt gab es keine Unterkünfte für die Sklavenarbeiter*innen mehr. Mehr als 1000 von ihnen wurden nach Gardelegen getrieben, wo sie in einer Wehrmachtskaserne der Remonte-Kavallerieschule unterkamen. Doch Thiele, der neben seinem Parteiamt auch SS-Obersturmbannführer und Oberleutnant der Wehrmacht war, wusste: Wenn die schnell vorrückenden US-Truppen diese Menschen in seinem Verantwortungsbereich antreffen sollten, wäre ihm die standrechtliche Erschießung so gut wie sicher, bestenfalls aber ein späteres Verfahren mit sicherem Ausgang: Todesstrafe.

Das jedenfalls scheint nach den lückenhaften Quellen die beste Erklärung für das schwer vorstellbare Verbrechen zu sein, das vor 70 Jahren stattfand. Amerikanische Panzer standen nur noch ein gutes Dutzend Kilometer vor Gardelegen, als Thiele und andere NS-Anhänger*innen tätig wurden.

Es dämmerte bereits, als mindestens 1016 Menschen aus der Kaserne zur nahe gelegenen Isenschnibber Feldscheune getrieben wurden, zwei Kilometer nordöstlich von Gardelegen an der Landstraße nach Bismark gelegen. Es handelte sich um eine gemauerte Feldscheune mit Ziegeldach. Nachdem die Menschen dort hineingedrängt worden waren, wurde Stroh, das den Scheunenboden bedeckte, von einem SS-Mann entzündet.

Zweimal schafften es die Gefangenen, die Flammen auszutreten; beim dritten Zündversuch brannte es schnell lichterloh in der Scheune. Möglicherweise war zuvor das Stroh mit Benzin getränkt worden; allerdings ist es auch möglich, dass entsprechender Geruch in der Scheune hing, weil sie früher als Treibstofflager genutzt worden war. Als die eingesperrten Häftlinge in Panik versuchten, die Türen aufzudrücken und aus Luken zu klettern, eröffneten SS-Leute das Feuer auf sie.

Mehr als 100 Männer, darunter Angehörige der Wehrmacht, der Waffen-SS, des Volkssturms und auch 25 ehemalige Funktionshäftlinge aus verschiedenen Konzentrationslagern, denen man Wärteruniformen angezogen hatte, feuerten mit Maschinengewehren und Panzerfäusten in die Scheune.

Am frühen Morgen des 14. April hoben sie einen 55 Meter langen und 0,90 Meter tiefen Graben aus, in dem die Leichen vergraben werden sollten. Während die Toten aus der Scheune geholt wurden, fand man unter den Leichenbergen noch lebende, schwer verletzte Häftlinge. Sie wurden meistens sofort per Genickschuss ermordet.

Am Nachmittag des 14. April 1945 musste die Spurenbeseitigung beendet werden, denn die amerikanischen Truppen kamen immer näher. Am Abend erreichte die 102. Infanteriedivision der US Army Gardelegen. Die Stadt und alle Wehrmachtseinheiten kapitulierten kampflos; Gerhard Thiele tauchte mit falschen Papieren unter.

Möglicherweise durch den Hinweis eines Einheimischen, möglicherweise aber auch zufällig, entdeckten GIs am späten Vormittag des 15. April die Scheune und das Massengrab. Spezialist*innen der US Army begannen, dieses Verbrechen zu dokumentieren. Dabei wurden aus den noch in der Scheune liegenden Toten mehrere Überlebende geborgen.

Kriegsberichterstatter der Alliierten konnten den „Holocaust von Garleben“ durch diese Gleichzeitigkeit belegen.

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