Internationaler Tag gegen Nuklearversuche

Aigerim Seitenova

Der 29. August ist der Tag, der uns an die düstere Geschichte des nuklearen Wettrüstens erinnert, welches tiefe Narben im Leben tausender Menschen in Kasachstan und anderswo hinterlassen hat. Er ist auch ein Tag des Widerstandes und der Resilienz von Atomwaffengegner*innen, die für das Ende von Nuklearversuchen kämpfen und sich für Klimagerechtigkeit, soziale und nukleare Gerechtigkeit engagieren.

Am 29. August 1949 führte die Sowjetunion den ersten Nuklearversuch auf dem Atomwaffentestgelände in Semipalatinsk durch. Über 400 Atomwaffen, die zwischen 1949 und 1989 auf dem Gelände getestet wurden, haben langanhaltende, negative Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt der Ortsansässigen hinterlassen. Das Atomwaffentestgelände in Semipalatinsk befand sich im Nordosten von Kasachstan (Kasachische Sozialistische Sowjetrepublik zur Zeit der Versuche). Das Territorium des ehemaligen Testgeländes Semipalatinsk ist groß und umfasst drei Regionen des Landes mit insgesamt 18.000 km².  Die sowjetische Führung wählte das Territorium der Region Semipalatinsk als entlegenes Gebiet mit flacher Steppe aus und spielte darauf an, dass es in dieser Region weder Menschen noch Behausungen gäbe. Entgegen dieser Annahme lebten jedoch mehr als 100.000 Menschen nur 120 km vom Testgelände entfernt, in Semipalatinsk (heutzutage Semei), der Hauptstadt der Region, sowie Tausende von Personen in Dörfern in der Nähe des Testgeländes.

Bis 1962 führte die sowjetische Führung 116 atmosphärische Tests durch, einschließlich des Tests der Wasserstoffbombe im Jahr 1953. Zum Zeitpunkt der atmosphärischen (und überirdischen) Tests sprachen die Bewohner*innen ländlicher Regionen in der Nähe des Testgeländes immer wieder von einer großen „Pilzwolke“, die sie gesehen hätten, nicht ahnend, dass diese die Folge der Nuklearversuche war. Nachdem atmosphärische Tests 1963 durch den Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser (PTBT) verboten wurden, wurden bis 1989 noch über 300 unterirdische Nuklearversuche durchgeführt.

Die Atomwaffentests, die über einen Zeitraum von 40 Jahren stattgefunden haben, haben humanitäre Konsequenzen für die Bewohner*innen in drei Regionen des Landes (Semei, Karaganda, Pavlodar) nach sich gezogen. Ihre Gesundheit, die Umwelt und das Ökosystem wurden durch die ionisierende Strahlung der Nuklearversuche irreversibel geschädigt. Verschiedene Formen von Krebs, Leukämie, konnatale Defekte bei Neugeborenen, Totgeburten, Schilddrüsen- und Herzkreislauferkrankungen sowie psychische Störungen waren bei der lokalen Bevölkerung weit verbreitet. Die Auswirkungen der ionisierenden Strahlung waren bei Frauen und Kinder überdurchschnittlich hoch – und wirkten sich nicht nur auf die Generation aus, die während der aktiven Testphase lebte, sondern auch auf die dritte und vierte Generation der Einheimischen. Die generationenübergreifenden Auswirkungen betrafen nicht nur die physische Gesundheit, sondern hatten auch signifikante gesellschaftliche und kulturelle Konsequenzen, da die Region noch immer mit sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit zu kämpfen hat.

Nuklearversuche liefen noch bis in das Jahr 1989, am 29. August 1991 wurde das Atomwaffentestgelände dann geschlossen. Die Einstellung der Nuklearversuche und die Schließung des Testgeländes geschahen aber nicht in einem Vakuum. Sie sind das Ergebnis des grenzüberschreitenden Engagements der Anti-Atomkraft-Bewegung „Nevada-Semei“ (vormals „Semipalatinsk“). Die Bewegung gegen Nuklearversuche vereinte Aktivist*innen in verschiedenen Ecken der Welt und lenkte die Aufmerksamkeit auf die verheerenden Auswirkungen von Nuklearversuchen. Die Nevada-Semei-Bewegung und die Proteste gegen die Versuche führten nicht nur zu einem Stopp der Versuche zu Zeiten der Sowjetunion, sondern haben auch die Solidarität zwischen Friedens- und Anti-Atomkraft-Befürworter*innen aus Kasachstan und dem Ausland gestärkt, die für das gleiche Ziel kämpften: eine atomwaffenfreie Welt.

Im Jahr 2009 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Entschluss, den 29. August zum Internationalen Tag gegen Nuklearversuche zu erklären. Das nukleare Erbe von Kasachstan ist schlicht und ergreifend eine Tragödie für Tausende von Menschen. Aber in dieser Tragödie haben die Menschen in Kasachstan die dringend benötigte Hoffnung und innere Kraft gefunden, um sich weiterhin gegen die schrecklichsten Waffen der Welt auszusprechen. Das nukleare Erbe Kasachstans erinnert die Welt an den Preis, den die Menschheit zahlen wird, wenn Atomwaffen jemals wieder zum Einsatz kommen. Es erinnert uns daran, dass Frieden in einer Welt mit Atomwaffen niemals möglich sein wird.

Zurück zum Pluralistischen Gedenkkalender