24. April: Gedenktag an die Opfer des türkischen Völkermordes an den Armenier*innen

Efsun Kızılay

„Aghet“ – die Katastrophe; die Tat, die ins Innere dringt und zerstört – so bezeichnen Armenier*innen den Völkermord an der armenischen Bevölkerung ab 1915 im Osmanischen Reich. Historiker*innen zufolge fielen diesem ca. 1,5 Millionen Armenier*innen zum Opfer.

Im Osmanischen Reich wurden Armenier*innen zwar als „nichtmuslimische“ Minderheit geduldet, gegenüber der muslimischen Bevölkerung war ihr Status jedoch nachrangig. Sie wurden von Regierungstätigkeiten oder dem Waffendienst ausgeschlossen. Bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden Armenier*innen im Osmanischen Reich als „innere Feinde“ tituliert, man misstraute ihnen und nicht selten wurden sie Opfer von antiarmenischen Stereotypen und Diskriminierung.

Von 1913 bis 1918 wurde das Osmanische Reich von einem jungtürkischen „Komitee für Einheit und Fortschritt“ regiert. Vorsitzende dieses Komitees waren Talat Pascha, Enver Pascha und Cemal Pascha, welche ihre Macht über das sich im Zerfall befindende Osmanische Reiche erhalten wollten. Sie gelten als Hauptverantwortliche des Völkermords an den Armenier*innen. Die jungtürkische Regierung verfolgte das Ziel einer ethnischen Homogenisierung. Zur Durchsetzung dieser Politik sollte ein islamisch geprägter türkischer Nationalstaat errichtet werden, der Armenier*innen erneut zu Feinden machte. Für die Umsetzung dieses Vorhabens ordnete Talat Pascha am 24. April 1915 als Innenminister die Verhaftung zahlreicher armenischer Politiker*innen und Intellektueller in Istanbul an. Ziel war zunächst vor allem die Zerstörung der intellektuellen und wirtschaftlichen Elite der Armenier*innen. Der 24. April 1915 gilt daher als der Beginn des Völkermords an der armenischen Bevölkerung. Die Verhafteten wurden verhört, gefoltert und anschließend getötet. Ab Ende Mai 1915 richtete sich die Gewalt gegen die restlichen Armenier*innen des Landes und wurde systematisch. Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes über die Bevölkerungsumsiedlung“ wurden Armenier*innen aus den östlichen Siedlungsgebieten, wo die meisten von ihnen lebten, auf wochenlangen Fußmärschen in die syrische Wüste nach Aleppo geschickt. Armenier*innen aus dem Westen wurden in Viehwagen der Bagdadbahn dorthin deportiert. Armenische Männer wurden dabei meist in den Dörfern ermordet, Frauen und Kinder hingegen auf Todesmärsche geschickt. Sie erlebten Folter, sexuelle Gewalt, Hunger und Durst. Die meisten überlebten die Todesmärsche nicht.

Der Genozid ereignete sich während des Ersten Weltkrieges. In diesem Kontext hatten hunderte deutsche Offiziere den operativen Befehl über die Armee des türkischen Kriegsverbündeten. Deutsche Generäle waren sogar an der Planung und Durchführung der Deportationen beteiligt. Auch die sogenannte Bagdadbahn, mit der die Deportationen durchgeführt wurden, entstand unter deutscher Regie. Das Deutsche Reich sah hierbei keinen Grund zu intervenieren.

Hatten Armenier*innen die Todesmärsche durch die syrische Wüste überlebt, wurden sie dort in Lagern interniert und starben täglich zu Tausenden an Hunger, Durst und Epidemien, die sich schnell in den Lagern ausbreiteten. 1916 beschloss der neu eingesetzte Gouverneur des Osmanischen Reiches die Lager zu schließen und die dort verbliebenen Armenier*innen ebenfalls zu ermorden. Über 200.000 Armenier*innen verloren in diesem Zusammenhang ihr Leben, nur ca. 1.000 Menschen überlebten – schwer gezeichnet und traumatisiert – die Massaker. 

Viele armenische Waisen, die den Genozid überlebt hatten oder ihren Familien entrissen worden waren, wurden an türkische Familien übergeben und dort einer assimilatorischen Erziehung unterzogen. Trotz der Massaker, Gewalt und Folter, denen die armenische Bevölkerung ausgesetzt war, gab es auch Überlebende, die sich aufmachten, um sich im Exil ein neues Leben aufzubauen.

Einer großen Zahl von Überlebenden, oftmals als die einzigen ihrer Familien, gelang Anfang der 1920er die Flucht nach Frankreich und in die USA. Andere wiederum blieben im Libanon, im britischen Mandatsgebiet Palästina, Syrien, Irak und auch weiterhin in der Türkei. Sie erlebten einen Bruch ihrer Sprache, ihrer Geschichte und ihrer Familien. In der Diaspora mussten sie sich alles neu aufbauen.

Während der Genozid von der Türkei geleugnet wurde und bis zum heutigen Tag keine Anerkennung erfährt, kämpften die Überlebenden einerseits um die Anerkennung der grausamen Taten als Völkermord und andererseits um die Verarbeitung der eigenen Traumata. Die Leugnung des Völkermords stellte für sie eine weitere Bürde in diesem Kampf dar. Auch heute setzen sich ihre Angehörigen und Armenier*innen weiterhin auf der ganzen Welt für eine Anerkennung des Genozids ein, welcher inzwischen – vor allem durch ihre unermüdlichen Bemühungen – von vielen Staaten als solcher bezeichnet wird. Das kollektive Gedächtnis der Armenier*innen wird jedoch durch die Leugnung seitens der Türkei auch weiterhin infrage gestellt und die Erinnerungsgemeinschaft einer anhaltenden Kränkung unterzogen.

Auch heute sind Armenier*innen in der Türkei Anfeindungen und Diskriminierung ausgesetzt. Der Mord am armenischen Journalisten Hrant Dink durch einen türkischen Nationalisten am 19. Januar 2007 zeigte schmerzlich auf, dass die Gefahr für armenische Menschen auch weiterhin allgegenwärtig ist.

 

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