Beginn der Syrischen Revolution

Luna Ali

Lange bevor es den Beweis eines Schwarzen Lochs gab, gab es die Vorstellung eines solchen Ereignisses. Man vermutete, dass sie existieren müssten. Lange bevor die syrische Revolution stattfand, träumten Menschen vom Ende der Assad-Diktatur nach 40-jährigem Andauern. Ein Schwarzes Loch ist physisch gesehen ein Nullpunkt. Alle Gesetze des Universums laufen, verlaufen sich darin: unendliche Dichte, unendliches Volumen, die Zeit in ihnen vergeht langsamer als um sie.

Auch Revolutionen sind ein Nullpunkt. Sie setzen die Gesetzmäßigkeiten des gesellschaftlichen Lebens außer Kraft. Sie sind, wie Walter Benjamin schrieb, die wahre Herbeiführung des Ausnahmezustandes für jene, die bereits im Ausnahmezustand leben. Am 15. März 2011 gingen Menschen in Damaskus inspiriert von den Protesten in Ägypten und Tunesien auf die Straße, um demokratische Reformen zu fordern. Sie ahnten nicht, dass sie einen Bruch in der Geschichte herbeiführten, einen Neuanfang im bereits Bestehenden setzten.

Ihre Worte waren „Allah, Syrien, Freiheit und sonst nichts“. Eine Antwort auf „Allah, Syrien, Bashar und sonst nichts“.

Ihre Worte waren auch „Das Volk will den Sturz des Systems“. Eben jene Worte, die bereits den ägyptischen Diktator Mubarak und Ben Ali in Tunesien zu Fall gebracht hatten. Nun waren diese Worte gegen das syrische Regime gerichtet. „System“ meint nämlich nicht nur Bashar al-Assad, sondern einen verbrecherischen Militär- und Geheimdienstapparat, welcher die asymmetrische ethnisch-religiöse Machtverteilung im Land aus der Kolonialzeit vorführte. Daher waren unter den Protestierenden auch Worte zu hören wie „Eins. Eins. Eins. Das syrische Volk ist eins“. Parallel versammelten sich Eltern im südlichen Teil des Landes, in Daraa, und forderten die Freilassung ihrer Kinder, die auf eine Wand geschrieben hatten: „Du bist als nächstes dran, Doktor.“[1]

Auf die Proteste folgten Verhaftungen und Tote, denn eine Diktatur kennt keinen Dialog. Die Menschen begannen sich zu organisieren, vieles lief über Facebook. Jeden Freitag riefen die entstandenen Revolutionären Koordinationskomitees neue Banner aus, unter denen sich immer mehr Menschen versammelten. Zu den Hochzeiten der Proteste waren ganze Städte wie Homs und Hama auf den Straßen. Es entstanden Revolutionslieder und neue Zeitungen, Theatergruppen, ganze Bildungseinrichtungen, humanitäre und künstlerische Gruppen gründeten sich. Für ein paar Monate, vielleicht ein halbes Jahr war man sich sicher, das Regime stürzen zu können. Doch mit der zunehmenden staatlichen Gewalt gegen die Proteste – erst waren es Scharfschützen, später Fassbomben und Belagerungen ganzer Städte – bröckelte die Gewissheit und der Protest militarisierte sich. Je mehr internationale Kräfte sich beteiligten, desto mehr strömten Syrer*innen in die Welt hinaus.

Erinnerungen erzählt man vom Moment der Gegenwart: Seit 2011 hat fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung Syrien verlassen. Mehr als eine halbe Million Menschen sind getötet worden. Hunderttausend Menschen sind verschwunden. Unzählige Verbrechen wurden begangen.

Es gibt Theorien, die besagen, der Urknall sei ein kollabiertes Schwarzes Loch.

Wie gedenkt man also einer gescheiterten Revolution?

Indem man die ständige Arbeit der Erinnerung leistet. Indem man von diesem einen Moment erzählt, an dem sich ein Bruch ereignete, der noch bis heute und weltweit ausstrahlt.

Denn es gibt Theorien, die besagen, Schwarze Löcher seien Wurmlöcher in andere Universen.

[1] Eine Anspielung darauf, dass Bashar al-Assad Medizin studiert hatte, um Augenarzt zu werden.

Zurück zum Pluralistischen Gedenkkalender