10. Mai: Bücherverbrennung

Marko Dinić

Die Bilder der vor 90 Jahren am damaligen Berliner Opernplatz und heutigem Bebelplatz vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund veranlassten Bücherverbrennung haben sich in das globale kollektive Gedächtnis eingebrannt. Als sogenannte „Aktion wider den undeutschen Geist“ steht die Bücherverbrennung am Anfang eines „Säuberungswahns“, der in den Nürnberger Rassegesetzen und den Pogromen des 9. Novembers 1938 münden und letztlich in der Shoa gipfeln sollte. Ob bei der Einordnung dieses Ereignisses Heines berühmt gewordenes Zitat: „dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“ als düstere Selbstprophezeiung oder als traurige Schlussfolgerung gelesen und verstanden werden kann, sei dahingestellt: Die Bücherverbrennung und die aus ihrer inneren Logik zwangsläufig hervorgehenden Verbrechen rühren an unserer Gegenwart, ohne dass die Einordnung derselben außerhalb des wissenschaftlich akademischen Diskurses einen signifikanten gemeinschaftsstiftenden Nachhall fänden. Und dabei geht es nicht nur um Deutschland und dessen Aufarbeitung der Geschichte. Ziel sollte es sein, diese Aufarbeitung als immerwährenden gemeinschaftlichen Prozess zu verstehen, der das Gedenken an derartige Ereignisse in einen globalen Kontext zu betten trachtet, um aufzuzeigen, dass diese immer auch Verbrechen gegen den Menschen an sich sind. Schließlich waren die Nazis – wenn nicht in allen Fällen – in ihrem Bestreben, die nach ihrem Maßstab „verbrennungswürdige“ Literatur aus dem kollektiven Gedächtnis auszulöschen, insofern erfolgreich, als dass Werke wie jene von Gina Kaus, Kurt Münzer, Alexander Lernet-Holenia, Maria Leitner oder Werner Türk nach wie vor der Wiederentdeckung harren.

Würde die Theorie vom globalen kollektiven Gedächtnis als einem aus den Fehlern der Vergangenheit lernenden Gedächtnis greifen, fände nicht nur der 10. Mai 1933 darin einen Platz als Negativbeispiel eines bis zum Äußersten gehenden, nationalen Überlegenheitswahns – Heines Zitat bekäme den Status eines internationalen Gesetzes. Denn seit 1933 gab es mehr als 45 Bücherverbrennungen weltweit, und es ist zu befürchten, dass dort, wo Bücher verbrannt wurden (u. a. Kambodscha, China, Jugoslawien, Afghanistan, Ukraine), die Bücherverbrennung der Nazis nicht als Negativbeispiel, sondern als Vorbild herangezogen wurde. Was darauf in aller Regel folgte, war die Tötung von Menschen.

Zurück zum Pluralistischen Gedenkkalender