Anschläge bekommen Namen, die im seltensten Fall die Opfer oder die Täter*innen benennen, nicht einmal die Taten oder Geschehnisse selbst werden benannt, sondern vielmehr die Orte, an denen sie geschehen. Vor dem Gedenken an Orte stehen jedoch Menschen, ihre Leben, Familien und Geschichten, die genannt und erzählt werden sollten und nicht verschwiegen werden dürfen.
Die Sprachlosigkeit des Gedenkens an jüdische und/oder migrierte Mitbürger*innen zeigen an, wie hilflos der Umgang mit antisemitischer Gewalt hierzulande ist, wie sie verdrängt und aufgeschoben wird, obwohl sie dringend adressiert und integriert werden müsste.
In Deutschland wird zu oft und zu lange schon so getan, als ob Antisemitismus das Problem der Anderen, der Einzelnen, bestimmter Gruppierungen, politischer oder religiöser Art wäre. Es wird vergessen, dass Antisemitismus hierzulande ein tief verwurzeltes und schlecht verstecktes Faktum darstellt. Insbesondere durch die anhaltende Verweigerung sich der eigenen Geschichtsaufarbeitung zu stellen, sondern sie lieber auf irgendwelche vermeintlich außenstehenden Personen zu projizieren, bricht diese Wunde immer wieder an den unterschiedlichsten Stellen auf, verwundet Menschen und lässt sie nicht selten auch zu Tode kommen.
Im vergangenen Jahr 2021 gab es deutschlandweit mindestens 3.028 Straftaten mit antisemitistischem Hintergrund. Die Zahl der Fälle steigt. Die Aufarbeitung rechtsterroristischer Straftaten hingegen dauert Jahrzehnte, wird verschleppt, in den Hintergrund gedrängt oder ganz vergessen.
So benötigte auch die Anklage des Verdächtigten Ralf S. im Fall des Anschlags vom 27. Juli 2000 am S-Bahnhof Düsseldorf Wehrhahn 17 Jahre. Der aus der rechten Szene stammende Militariahändler, der in der Nähe wohnte, hatte in seinem Umfeld mit der Tat geprahlt.
Obwohl zehn Menschen, von denen sechs Jüdinnen*Juden waren, zum Teil schwer verletzt und ein ungeborenes Kind getötet wurde, entkam der Angeklagte einer Verurteilung. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe bestätigte ein Urteil des Düsseldorfer Landgerichts, das 2018 in einem späten Prozess auf Freispruch entschieden hatte.
Die jüdische Gemeinde in Düsseldorf ist die drittgrößte in Deutschland, sie ist in ihrer Sichtbarkeit in der Stadt jedoch sehr dezent. Die Neue Synagoge wird von Polizist*innen bewacht, die unter einem kleinen Dach stehen. Auch das ist eine Realität in Deutschland und wird als gegeben akzeptiert.
Die Opfer des Wehrhahn-Anschlags waren zum Teil Mitglieder der jüdischen Gemeinde, sie kamen aus einer Sprachschule, wo sie Deutsch lernten. Sie kamen nach Deutschland, um eine neue Sprache und ein sicheres Zuhause zu finden. Durch den Anschlag mit einer selbstgebastelten Rohrbombe wurden sie hingegen traumatisiert und in ihrem Ankommen brutal gestört. Der angeklagte Rechtsradikale, der mangels eindeutiger Beweise einer Verurteilung entkam, erhielt zu allem Überfluss noch eine Entschädigung. Der rechtsterroristische Anschlag bleibt ungesühnt, unaufgeklärt und ein Gedenken bleibt nach über zwei Jahrzehnten immer noch schwierig, da sich an diesem Anschlag so Vieles zeigt, was wir gerne überwunden wüssten. Es wird jedoch noch ein langer Weg der Sühne und des Gedenkens bleiben.