Vor 53 Jahren begannen die Riots vor der Stonewall Bar rund um die Christopher Street in New York. Bis zum 3. Juli lieferten sich vorwiegend Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans Menschen Straßenschlachten mit der Polizei. Dieses Ereignis gilt allgemein als Urknall der internationalen LSBTIQ*-Bewegung.
Vergessen wird in der Meisterzählung jedoch, dass es keine single issue war, sondern in Wechselwirkung zu anderen sozialen (Befreiungs-)Bewegungen stand. Heute wird vorwiegend aus einem falschen Verständnis von „Identitätspolitik“ (im Gegensatz zum solidarischen Konzept der „identity politics“ nach dem Schwarzen, radikalen, lesbischen Combahee River Collective) heraus darüber gestritten, welche Personen aus welcher gesellschaftlichen Situierung und Positionalität bei den Ereignissen anwesend waren und welche Rolle sie dabei spielten. Danach werden Zugehörigkeitsrechte und Teilhabe an Erinnerungen verhandelt.
In einem pluralen Verständnis von Erinnerungskultur ist daher unabdingbar auch auf die Leerstellen in Erzählungen zu blicken, deren „Stille“ sind Ergebnisse von Machtausübung.
Bereits 1984 bemängelte die lesbische Schriftstellerin Rita Mae Brown „Die Insass*innen des Women’s House of Detention hörten den Lärm und starteten daraufhin eine Knastrevolte … Sie setzten ihre Matratzen in Brand und steckten sie durch die Gitterstäbe. Dies wurde niemals aufgeschrieben, denn alle dokumentierten Zeugnisse dieser Zeit stammten von Männern“.
Brown spricht von der Gefängnisrevolte im berüchtigten Women’s House of Detention (WHoD) als Reaktion auf die Straßenriots in der in Sichtweite gelegenen Christopher Street. Arcus Flynn, eine Aktivistin der Lesben-Organisation Daughters of Bilitis, erfuhr von den Stonewall Riots zuerst darüber, dass sie beim Vorbeifahren am WHoD Brände in den Fenstern bemerkte und dass „vermutlich hunderte“ Insass*innen schrien „Gay rights! Gay rights! Gay rights!“ Andere Zeugnisse bescheinigen, dass ebenfalls in Abwandlung der Parole der Schwarzen Bewegung „Black Power!“ die Insass*innen „Gay Power!“ skandierten.
Das WHoD, erbaut 1932, wurde auch bekannt als „Lesbian Prison“, da viele Insass*innen queere Frauen, Butches und trans männliche Personen wegen kleinerer Vergehen inhaftiert wurden, unter anderem wenn sie gegen das Bekleidungsgesetz verstoßen hatten, das festschrieb, dass eine Person mindestens drei sichtbare Bekleidungsteile des ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlechtes zu tragen hatte. Insass*innen wurden vor allem nicht-weiße, armutsbetroffene und nicht genderkonforme Frauen und trans männliche Personen.
Das WHoD, auch bekannt als „Hell Hole“ (Höllenloch) war berüchtigt für schikanöse Misshandlungen und (sexualisierte) Gewalt an den Insass*innen. In den späten 1960ern wurden hier auch zunehmend politische Gefangene aus der Friedensbewegung, der radikalen Linken und vor allem aus der Schwarzen Bewegung inhaftiert. Zu den bekanntesten Insass*innen gehörten auch die drei queeren Aktivist*innen der Black Panther Afeni Shakur, Joan Bird und Angela Davis. Letztere wurde erst nach den Stonewall Unruhen inhaftiert, Shakur und Bird jedoch gehörten zu den Protagonist*innen des Gefängnisaufstandes.
Aus diesem Gefängnisaufstand entstand kurzfristig ein solidarisches Bündnis aus Organisationen, die gemeinsam gegen das WHoD und die dort herrschenden, gewalttätigen Zustände sowie für ihre Insass*innen gemeinsam kämpften. 1971 wurde das „Höllenloch“ für immer geschlossen und abgerissen. Seit 1974 liegt dort ein öffentlicher Park.
Die Stonewall-Veteranin und lesbische Butch Jay Toole, die damals zu den vielen Obdachlosen, Queeren Jugendlichen, die an den Ausschreitungen auf der Straße teilnahm, gehörte, beschreibt die Wende in der LSBTIQ*-Geschichte in diesen Worten: „It was every form of human being, every shade of human being, every sexuality of human being, all coming together as one. It was just like, enough is e-fucking-nough!“
Im Sinne einer pluralen Erinnerungskultur: Black Power! Gay Power! Happy Pride! Queers for Future![9]