Weltflüchtlingstag

Anja Fahlenkamp

 

Am 20. Juni ist der Weltflüchtlingstag – obwohl das wie ein Feiertag klingt, gibt es leider wenig Grund zu feiern. Der Weltflüchtlingstag bietet vielmehr Anlass, eine kritische Bestandsaufnahme zu machen und in Erinnerung zu rufen, dass Millionen von Menschen weltweit leider nicht nur auf der Flucht sein müssen, sondern oftmals nicht den Schutz erhalten, auf den sie eigentlich ein Recht haben.

2024 haben die Zahlen von Geflüchteten einen neuen und historischen Höchststand erreicht: Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt, dass weltweit rund 120 Millionen Menschen auf der Flucht sind vor Gewalt, Unterdrückung und Krieg. Die größte Fluchtkrise ist weiterhin die durch den Bürgerkrieg in Syrien verursachte: So sind geschätzt 13,8 Mio. Syrer*innen innerhalb und außerhalb Syriens vertrieben, davon allein über 3 Mio. in der Türkei. 2023 haben besonders der Konflikt im Sudan sowie der Israel-Gaza-Krieg neue Fluchtbewegungen ausgelöst; so galten Ende 2023 über 10 Mio. Sudanes*innen und 1,7 Mio. Palästinenser*innen im Gaza-Streifen als vertrieben. Zudem fliehen weiterhin Menschen aus der Ukraine, so wie es bereits über 9 Millionen Menschen seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine getan haben: Das entspricht der größten Fluchtkrise in Europa seit dem 2. Weltkrieg. Ein Großteil von ihnen ist bislang nicht zurückgekehrt. Das UNHCR geht aktuell von noch 6,5 Mio. Ukrainer*innen außerhalb des Landes aus, davon knapp 6 Mio. in Europa. Deutschland bleibt innerhalb der EU das Land, das die meisten Geflüchteten aufnimmt, darunter allein über 1,1 Mio. Geflüchtete aus der Ukraine. 2023 wurden in Deutschland über 350.000 Asylanträge gestellt.

UNHCR ermahnt anlässlich des Weltflüchtlingstages, dass alle Menschen, die fliehen müssen, das Recht auf Schutz und Sicherheit haben und darauf, mit Würde behandelt zu werden – und zwar überall. Doch dieses Recht ist leider weiterhin keine Selbstverständlichkeit. Viele Geflüchtete können sich in ihren Aufnahmeländern nicht auf Rechtssicherheit verlassen: Oftmals wird die Legitimität der Flucht und des Aufenthalts infrage gestellt und die Prüfung von Schutzersuchen oder die Zuerkennung von Schutz verwehrt. Dies geschieht auch an den Grenzen Europas, wo Geflüchtete im klaren Bruch mit der Genfer Flüchtlingskonvention und europäischem Recht die Stellung von Asylanträgen verwehrt anstatt Schutz gewährt wird – selbst Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) konnten mehrere EU-Mitgliedstaaten bislang nicht dazu bewegen, europäisches Recht korrekt anzuwenden, Asylanträge entgegenzunehmen und ihre systematische, gewaltsame Pushback-Praxis gegen Geflüchtete zu beenden.

Zudem begegnen Geflüchtete in Aufnahmeländern weiterhin und zuletzt sogar immer mehr Feindseligkeit, Skepsis, Ausgrenzung, Diskriminierung und Unrecht. Rufe nach Rückführungen auch in weiterhin unsichere Länder wie Afghanistan und Syrien, oder nach einer Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten werden immer lauter; auch in Europa, auch in Deutschland. Der Wahlkampf für das EU-Parlament hat schmerzhaft deutlich gemacht, welchen erschreckenden Reiz eine migrations- und flüchtlingsfeindliche Rhetorik auf Europäer*innen ausübt. Von einem würdevollen Umgang mit dem Thema Flucht und mit Geflüchteten sind wir daher noch weit entfernt.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns alle dafür einsetzen, dass wir uns nicht noch weiter davon entfernen und dass Geflüchteten uneingeschränkter Schutz gewährt wird – denn Flucht wird es auch weiterhin geben, ob vor gewaltsamen Konflikten, Unterdrückung oder zukünftig auch immer öfter vor Klimakatastrophen. Es ist dabei an uns zu entscheiden und mitzugestalten, ob der Weltflüchtlingstag auch in kommenden Jahren der Trauertag, der er jetzt ist, bleiben wird, oder irgendwann mal ein Feiertag, an dem wir Solidarität und Menschlichkeit zelebrieren und Beispiele für den positiven Beitrag und die Bereicherung, die Geflüchtete in ihren Aufnahmeländern leisten, gefeiert werden können.

 

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