Wir alle sind in diesem Jahr mit Herausforderungen konfrontiert, die allesamt Erinnerungskultur direkt betreffen. Die Wahlerfolge und das Erstarken rechtsextremer und faschistischer Kräfte in Europa, der andauernde Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der terroristische Angriff der Hamas auf Israel sowie der andauernde und sich ausweitende Krieg in Gaza, im Libanon, mit dem Iran, die sich verschiebenden globalen Dynamiken hin zu Autokratie und Menschenfeindlichkeit, die zuletzt durch die Wiederwahl eines verurteilten Kriminellen zum Präsidenten der USA sichtbar wird.
Unter der Last dieser und so vieler weiterer Ereignisse erleben wir tagtäglich, wie zivilgesellschaftliche Bündnisse und Allianzen zerbrechen – durch fehlende Solidarität, aktive Entsolidarisierung und fehlende Empathie. Marginalisierte Gruppen werden gegeneinander ausgespielt – und spielen sich gegenseitig aus. Zu einem entscheidenden Zeitpunkt werden die gemeinsamen Visionen für unsere plurale Gesellschaft und ein solidarisches Europa empfindlich geschwächt – und die Homogenitätsfantasien rechtsextremer Kräfte und ihre Vorstellung vom Kampf als zentraler Idee der Politik werden gestärkt.
Die Coalition for Pluralistic Public Discourse (CPPD) und ihre Partner*innen sind hier eine Ausnahme. In einer Zeit, in der wir dafür kämpfen, dass Räume erhalten bleiben, baut die CPPD ihre Räume noch weiter aus. Im Angesicht des Zusammenbruchs setzen wir auf Zusammenarbeit. An den kollaborativen, an den pluralen, an den dialogbasierten Ansätzen unserer Arbeit hat sich im vergangenen Jahr vor allem eines geändert: Wir haben unser Engagement verstärkt, gerade weil an so vielen Stellen in der Zivilgesellschaft, im Diskurs, so tief klaffende Lücken sichtbar wurden oder sich neu und tiefer aufgetan haben. Denn darin besteht unsere Arbeit: Unser bestes darauf zu richten, dass die antidemokratischen und völkischen Kräfte nicht das tun, was sie sich wünschen und was sie offen versprechen: die Abschaffung der pluralen Demokratie.
So plural unsere Gesellschaften sind, so plural sind die Erinnerungsmomente, so plural muss auch Erinnerungskultur gestaltet werden. Erst dann, wenn wir uns die Vergangenheit als komplexes Netz an Erinnerungsmomenten denken, werden wir ihr gerecht. Und damit auch der Gegenwart, die ja heute mehr als zu Beginn unserer Arbeit bedroht ist von einer Rückkehr der Traditionen der Gewalt. Pluralität bedeutet, auch für die deutsche und europäische Erinnerungskultur, sich immer wieder dieser Gleichzeitigkeit und teils auch Ambivalenz bewusst zu werden und sich ihnen zu stellen. Gerade dann, wenn wir verstehen, wie sehr wir mit der Vergangenheit immer auch die Gegenwart erinnern – ihre Konflikte, Kämpfe und gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse.
Für diese Gleichzeitigkeit steht auch der Plurale Gedenkkalender #Erinnerungsfutur. Er versammelt Beiträge von Mitgliedern aus dem CPPD-Netzwerk und Gastautor*innen, die in journalistischen Texten, wissenschaftlichen Abhandlungen, Interviews und kreativen Formaten verschiedenste Gedenktage reflektieren und den erinnerungskulturellen Kanon erweitern. Dass der Kalender nun in dritter und erweiterter Ausgabe erscheint, zeigt die Weite erinnerungsrelevanter Themen an den Schnittstellen von Antisemitismus, Ableismus, Rassismus, Queer- und Menschenfeindlichkeit sowie Widerstandsgeschichte und offiziellen Gedenktagen.
Der Plurale Gedenkkalender zeigt eines ganz deutlich: Erinnerungskultur muss sich nach den Menschen in Europa richten, nicht nach einer Vorstellung davon, wie diese Menschen zu sein haben. Pluralität ist nicht das zentrale Problem der Gesellschaft, sondern ihre Grundlage. Es ist unsere feste Überzeugung, dass das auch für die Erinnerungskultur gelten muss: Dass wir die Erinnerung gemeinsam erzählen und nicht allein, weil wir gemeinsam das gestaltet haben– und von dem gestaltet wurden – was wir heute Gegenwart nennen.
Die CPPD ist, wie dieser Gedenkkalender auch, ein Versuchsfeld. Und die Ergebnisse, die wir erzielen, die Einsichten, die wir gewinnen, sind wie das Erinnern selbst: Unabgeschlossen, unvollständig, in dauernden Prozessen der Veränderung. Daher gilt auch für die inzwischen dritte Auflage von »Erinnerungsfutur«: Wir bitten alle Lesenden, uns weitere Gedenktage und Erinnerungsmomente zu nennen, um den Kalender zu ergänzen und gemeinsam fortzuschreiben, denn: Eine resiliente Demokratie kommt ohne eine Plurale Erinnerungskultur nicht aus.
Sie möchten einen Gedenkkalender erhalten? Gegen eine Spende senden wir Ihnen gerne eine Ausgabe zu. Bestellungen können per E-Mail an gedenkkalender@dialogperspektiven.de mit dem Betreff „Bestellung CPPD Gedenkkalender 2025“ und unter Angabe der postalischen Adresse aufgegeben werden.
Die CPPD und ihre Netzwerkmitglieder fordern eine Stärkung und nachhaltige Sicherung ihrer Arbeit für eine demokratische Plurale Erinnerungskultur.
Pluralität bleibt das Strukturprinzip unserer Gesellschaften – trotz eines Erstarkens der rechtsextremen und faschistischen AfD in Deutschland, trotz der Wahlerfolge rechter und rechtsextremer Kräfte in Europa, trotz andauernder Kriege und Gewaltkonflikte in der Ukraine, in Israel, Gaza und im Libanon. Mit ihren Aktivitäten und Veranstaltungsformaten schafft die CPPD einzigartige Räume des Pluralen, die Dialog zulassen und zu konkretem Handeln führen.
Um der Pluralität unserer Gesellschaften gerecht zu werden, bedarf es Ressourcen und Räume, die einerseits den themenspezifischen Austausch ermöglichen sowie Räume, die die Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten von Perspektiven öffentlich sichtbar machen. Diese Räume sind herausfordernd und entstehen erst durch die Zuwendung zum Pluralen: Sie können dazu beitragen, die enge Verschränkung zwischen gegenwärtigem Handeln und der Zukunft unserer Gesellschaften in Kontext zu setzen, Polarisierungen zu verringern und Demokratie zu fördern.
Als einmaliges kollaboratives Netzwerk mit über 200 Partner*innen realisiert die CPPD künstlerische, zivilgesellschaftliche und bildungspolitische Konzepte für ein pluralistisches gesellschaftliches Erinnern. Hierzu gehören auch die Aktivitäten der Festivalreihe »Memory Matters«, die an sechs Standorten in Deutschland und Europa stattfand und am 18. und 19. Oktober 2024 in Berlin ihren Abschluss fand.
Bei der öffentlichen Veranstaltung „Wie weiter? – Gegenwart erinnern. Der 24. Februar, der 7. Oktober und der 9. Juni“ in Kooperation mit der Akademie der Künste kamen neben CPPD-Netzwerkmitgliedern mehr als 150 Interessierte aus der Zivilgesellschaft sowie ein erinnerungspolitisches Fachpublikum zusammen. Drei Panels zeigten die Singularitäten sowie die Gleichzeitigkeiten und Verschränkungen von Kriegen, rechter Gewalt und der Bedeutung von Pluralen Erinnerungskulturen auf.
Die Journalistin Olesya Yaremchuk, die Geschäftsführerin von OFEK e.V. Marina Chernivsky und der Aktivist und Geschäftsführer von Austausch e.V. Igor Mitchnik thematisierten die verheerenden Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit einem menschenzentrierten Fokus: Welche Auswirkungen hat der Krieg für Betroffene und Angehörige? Wie beeinflusst er Demokratien in Europa? Wie geht es – auch erinnerungspolitisch – weiter?
Die Journalistin und Ressortleiterin bei der taz Dinah Riese diskutierte mit Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, und Ahmad Dakhnous, Aktivist und politischer Referent, über den Krieg in Israel und Gaza, seine Bedeutung für Deutschland und Europa und welche Rolle eine Plurale Erinnerungskultur darin spielen kann. Das kontroverse und emotional geladene Panel schuf Raum für plurale Perspektiven und zeigte eindrücklich, wie ein respektvoller Umgang mit unterschiedlichen Positionen gelingen kann.
Peggy Piesche, Leiterin des Fachbereichs „Politische Bildung und plurale Demokratie“ bei der Bundeszentrale für Politische Bildung, und Kristina Lunz, Mit-Begründerin des Center for Feminist Foreign Policy, sprachen über die diesjährigen Europawahlen und die Konsequenzen von Polarisierungen für Deutschland und Europa. Sie konkretisierten Handlungsoptionen sowie die Rolle von Empathie, kollektiver Erinnerung und Zusammenarbeit für die Gestaltung unserer Demokratien. Diplomatin Anja Fahlenkamp betonte zum Abschluss, Intersektionalität als Schlüsselkonzept zu begreifen, um gegenwärtige Herausforderungen zu verstehen.
Im Rahmen des Abschlussfestivals „Memory Matters“ kamen über zwei Tage erinnerungs- und bildungspolitische Akteur*innen aus verschiedenen Institutionen, Organisationen und Initiativen sowie Mitglieder aus dem CPPD-Netzwerk zum Netzwerkpartner*innentreffen der CPPD zusammen. In zwei Arbeitsrunden gingen die Teilnehmenden erinnerungsspezifischen Themen nach und erarbeiteten Grundlagen für die Entwicklung innovativer erinnerungspolitischer Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt, Inklusion und historischer Genauigkeit. Begleitet wurde das Netzwerkpartner*innentreffen, das einen einmaligen Raum für den Austausch zivilgesellschaftlicher Organisationen bot, durch die Expertise von Vatan Ukaj und Alexandra Perlowa aus dem Kollektiv „Wertansich(t)“.
Trotz der virulenten Krisen kommt unseren Gesellschaften ein inhärentes Gestaltungspotenzial zu – das zeigte das Abschlussfestival „Memory Matters“ der CPPD. Dafür müssen Räume geschaffen, gestärkt und nachhaltig gesichert werden, in denen ein pluraler Diskurs zu Erinnerungskultur möglich ist.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden und den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und freuen uns auf eine Fortsetzung unserer Arbeit 2025.
Fotos: Natalia Reich
2024 realisierte die CPPD die dezentrale Festivalreihe »Memory Matters« in St. Pölten, Nürnberg, Neumünster, Dortmund, Dresden, Madrid und Berlin. In diesem Rahmen wurden Veranstaltungen organisiert, die Workshops, künstlerische Positionen und abschließende Diskussionen umfassten und sich den vielfältigen Themen einer pluralistischen Erinnerungskultur widmeten. Die hier einsehbare Videodokumentation zeigt Impressionen aus der Arbeit der CPPD, der dezentralen Festivalreihe und der europäischen Kongresse.
Unser herzlicher Dank geht an Ibrahim Arslan, Muhammet Ali Bas, Max Czollek, Aladin El-Mafaalani, Noa K. Ha, Kelly Laubinger, Nina Prader, Martin Reichardt und Hannan Salamat für ihre Beiträge. Ein besonderer Dank gilt Andreas Daniel Jakob für die Videoproduktion.
30. September & 1. Oktober 2024
Die Aushandlung einer gemeinsamen Europäischen Erinnerungskultur eröffnet neue Perspektiven in nationalen erinnerungspolitischen Diskursen. Das ist eine zentrale Erkenntnis der Kulturbegegnung »Memorias | Erinnerungen« in Madrid. In Anbetracht der demokratischen Krise in Europa liegt ein Schlüssel für die Stärkung Europas in der Frage, wer wir als Europäer*innen sind und sein möchten. Eine gemeinsame Pluralisierung der Erinnerungskultur kann Zusammenhalt und Demokratie entscheidend befördern.
Seit 2021 arbeitet die Coalition for Pluralistic Public Discourse (CPPD) als kollaboratives Netzwerk mit über 200 Partner*innen an künstlerischen, zivilgesellschaftlichen und bildungspolitischen Konzepten für ein pluralistisches gesellschaftliches Erinnern in Deutschland und Europa. Zentraler Bestandteil dieser Arbeit ist die Festivalreihe »Memory Matters«, die 2024 an vier deutschen und zwei europäischen Städten stattfindet, darunter auch der Europäische Kongress in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Madrid und dem Instituto Cervantes.
Der Soziologe Emilio Silva Barrera, Gründer der Vereinigung zur Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses (ARMH), sowie Dr. Max Czollek, Autor und Kurator der CPPD, tauschten sich über die Förderung politischer Aktionen aus, die vielfältige Perspektiven in den offiziellen Erinnerungsdiskurs einbinden. Czollek verwies auf die deutsche Erinnerungspolitik, die eine eindimensionale Erzählung der Wiedergutmachung inszeniert, während Silva hervorhob, dass in Spanien das Bedürfnis nach Aufarbeitung sowohl der Franco-Diktatur als auch des Bürgerkrieges wächst. Beide appellierten an die zivilgesellschaftliche Stärke, die Widerstand gegen politische Realitäten und Gewalt leisten kann.
Loreto Urraca, die spanische Vertreterin des Kollektivs „Ungehorsame Geschichten, Angehörige von Völkermördern für Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit“, veranschaulicht, wie Menschen jenseits des akademischen Diskurses erinnerungspolitisch aktiviert werden können, indem sie ihre persönliche Familiengeschichte in den Mittelpunkt ihres Aktivismus stellt. Noa K. Ha lenkt die Aufmerksamkeit des zahlreich erschienenen Publikums auf die postkoloniale Wahrnehmung des öffentlichen Stadtraums.
Mit Tunay Önder, Julia Cortegana de la Fuente, Victorino Mayoral Cortés und Jo Frank stellten vier Vertreter*innen von Bildungs- und Kulturinitiativen unterschiedliche Projekte zur Vermittlung pluraler Erinnerungskultur vor. Ob Dokumentartheater, politische Bildungsprojekte, öffentliche digitale Erinnerungsarchive oder solidarische Netzwerke zur pluralen Erinnerungskultur – alle plädierten für den Ausbau der europäischen Vernetzung. Die Notwendigkeit zur europäischen Zusammenhalt wurde noch einmal durch globale Konflikte unterstrichen: So hat auch der Krieg im Nahen Osten, der enorme erinnerungspolitische Implikationen hat, die Diskussionen vor Ort beeinflusst.
Ein Highlight des Festivals war die Eröffnung des Dynamic Memory Lab im Garten des Goethe-Instituts. CPPD-Vorstand Hannan Salamat, Kelly Laubinger, Gründerin der Sinti Union Schleswig-Holstein, sowie der regionale Kurator und erste Abgeordnete der Gitanos-Community in der Madrider Regionalregierung, Gitano-Aktivist Samuel Escudero, setzten sich für eine stärkere Sichtbarmachung marginalisierter Communities wie der spanischen Sinti* und Roma* im öffentlichen Raum in Europa ein, indem sie die Vermittlung und Anerkennung individueller Geschichten und historischer Ereignisse betonten.
Für die Gestaltung einer pluralen europäischen Zukunft sind Formate des internationalen Dialogs von entscheidender Bedeutung. Sie ermöglichen es, voneinander zu lernen, gemeinsame Herausforderungen zu erkennen und neue Impulse für die europäische Erinnerungskultur zu setzen. Die diversen Veranstaltungen in Madrid waren Teil der Festivalreihe »Memory Matters« der CPPD, die 2024 in vier deutschen und zwei europäischen Städten mit Veranstaltungen, Workshops, künstlerischen Positionen und Diskussionen realisiert wurde.
Am 19. Oktober findet das Abschlussfestival 2024 unter dem Titel „Wie weiter? Gegenwart Erinnern: Der 24. Februar, der 7. Oktober & der 9. Juni“ in der Akademie der Künste Berlin statt.
Plurale Räume können einen offenen, kritischen und respektvollen Umgang mit den schmerzlichsten Ereignissen ermöglichen und gemeinsames, solidarisches Erinnern stärken. Das ist eine wichtige Einsicht nach der Veranstaltung der Coalition for Pluralistic Public Discourse und RomaTrial e.V. anlässlich des ersten Jahrestages des terroristischen Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem andauernden Krieg im Nahen Osten.
Um einen konstruktiven und pluralen Umgang mit dem 7. Oktober und dem andauernden Krieg zu ermöglichen, bedarf es
Im Rahmen der Veranstaltung wurde Trauer als fundamentale menschliche Emotion in vier Panels und in ihrer Vielschichtigkeit und Multidimensionalität betrachtet, die ihr einzigartiges Spannungsverhältnis ausmacht: als kulturelles Phänomen, das kollektives Erinnern, Gedächtnis und Identitäten prägt, und in ihrer individuellen, persönlichen Dimension.
In den von Hannan Salamat und Zsófia Bihari moderierten Gesprächen mit Shai Hoffmann und Ahmad Dakhnous, Furkan Yüksel und Samuel Stern, Atalya Laufer und Ariel Reichman sowie Hadja Harouna-Oelker und Max Czollek wurden kulturelle, psychologische und soziale Aspekte von Trauer und deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuum reflektiert: Kann Trauer als fundamentale menschliche Emotion angesichts von Krieg und Konflikt eine vereinende Wirkung haben? Ist das Recht auf Trauer für alle gleich? Wie begegnen wir den Ungleichheiten in der Wahrnehmung und Sichtbarkeit von Trauer? Welche konkrete Verantwortung liegt bei den vielen nicht unmittelbar Betroffenen in den Diskursen um Trauer und Krieg?
Die Veranstaltung im Grünen Salon der Volksbühne war schon frühzeitig ausverkauft. Sie ermöglichte Gespräche dort, wo Dialoge unmöglich erscheinen. Mit der Veranstaltung gelang es der CPPD, einen empathischen und offenen Raum der konstruktiven Auseinandersetzung und des kritischen Austauschs zu schaffen, der sich den komplexen Themen um Trauer und den 7. Oktober 2023 widmete. So konnte eine Form der Erinnerung gestärkt werden, die gleichzeitig eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den aktuellen Gewaltgeschehnissen bedeutet und Perspektiven für ein solidarisches und plurales Erinnern aufzeigt.
Die nächsten öffentlichen Veranstaltungen der CPPD finden im Oktober 2024 im Rahmen des Abschlussfestivals Memory Matters der CPPD in Berlin statt: Beim Netzwerkpartner*innentreffen am 18. Oktober kommen Institutionen, Organisationen und Akteur*innen mit vielfältigen Arbeitsschwerpunkten innerhalb des erinnerungspolitischen und -kulturellen Felds zusammen, um Synergien zwischen Themen, Ressourcen und Projekten zu schaffen.
Am 19. Oktober findet die Abschlussveranstaltung der CPPD in der Akademie der Künste unter dem Titel „Wie weiter? Gegenwart Erinnern. Der 24. Februar, der 7. Oktober & der 9. Juni“ statt.
Fotos: Natalia Reich
Fotocredit: Natalia Reich
Eine zentrale Herausforderung der Gegenwart liegt in der Etablierung erfolgreicher Praktiken des Widerstands und der Immunisierung gegenüber rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen. In diesem Prozess kann eine Plurale Erinnerungskultur bedeutend mitwirken.
In Zeiten eines europaweiten Rechtsrucks und mit Blick auf die Wahlergebnisse der jüngsten Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen bedarf es Räume des Austauschs sowie partizipationsfördernde Angebote, um eine demokratische und differenzierte Erinnerungskultur zu etablieren.
Die Coalition for Pluralistic Public Discourse (CPPD) erarbeitet seit 2021 als kollaboratives Netzwerk von über 200 Partner*innen künstlerische, zivilgesellschaftliche und bildungspolitische Konzepte für ein pluralistisches gesellschaftliches Erinnern. Hierzu gehört die Festivalreihe »Memory Matters«.
Vor dem Hintergrund eines Erstarkens demokratiefeindlicher Bewegungen deutschlandweit, jedoch auch in Dresden und Sachsen in den letzten zehn Jahren durch Pegida und die sogenannten Montagsspaziergänge, zeigte die CPPD am 22. September 2024 mit dem Festival »Memory Matters« gemeinsam mit „Faiths in Tune“, dem Ausländerrat Dresden sowie dem Staatsschauspiel Dresden neue Wege im Erinnern auf.
Der Schwerpunkt der Veranstaltungen bewegte sich an der Schnittstelle von Erinnerungskultur und Widerstand: Welche Widerstände muss Erinnerungskultur aushalten können? Wie können Erinnerungspraktiken in Ostdeutschland auch als Widerstandspraktiken begriffen werden? Welche Rolle kann eine widerständige Erinnerungskultur in Zeiten eines europaweit zu verzeichnenden rechten Backlashs einnehmen?
Die Autorin Anne Rabe belegte im Rahmen des Festivals die fehlende Aufarbeitung der DDR-Geschichte anhand spezifischer Generationen und deren Orientierungslosigkeit in einer Gesellschaft mit neuen Werte- und Handlungsoptionen. Die Historikerin Sarah Grandke wies darauf hin, dass auch die Opfer des SED-Regimes einen würdigen Raum in der Gesellschaft erhalten müssen, der durch ein offenes Sprechen über persönliche Erfahrungen unterstützt werden kann. Nur so könne anhaltendes Schweigen durchbrochen werden. Auch in den von der Journalistin Andrea Hanna Hünniger verlesenen Essays wurden Widerstände gegen die Wiedervereinigung durch Schweigen thematisiert. Multidirektionale Bezüge zum Thema wurden über Kelly Laubinger, Vorsitzende der Bundesvereinigung der Sinti und Roma, und Dan Thy Nguyen, Regisseur, Schauspieler und Essayist hergestellt. Sie betonten stets die Bedeutsamkeit der Förderung einer pluralen Erinnerungskultur auf dem gesamten Bundesgebiet. Moderiert wurde von CPPD-Mitglied Anja Fahlenkamp. Ein partizipativer Stadtspaziergang durch Dresden mit Schwerpunkten auf Diskriminierung und Asyl sowie ein Workshop im Montagscafé des Staatsschauspiels Dresden für Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung ermöglichten zusätzlich die Auseinandersetzung mit Widerständigkeiten in der Erinnerung.
Für eine reflektierte Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Entwicklungen und der Rolle der Erinnerungskultur in diesen Zusammenhängen sind Austauschformate und Partizipationsräume dringend notwendig. Räume des Austauschs werden auch in Zukunft für die Weiterentwicklung unserer hiesigen Erinnerungskulturen benötigt. Die Veranstaltung in Dortmund war Teil der Festivalreihe »Memory Matters« der CPPD, die 2024 in vier deutschen und zwei europäischen Städten mit Veranstaltungen, Workshops, künstlerischen Positionen und Diskussionen realisiert wird.
Am 19. Oktober 2024 findet die Abschlussveranstaltung von »Memory Matters« in Berlin zum Thema „Wie weiter? Gegenwart erinnern: Der 24. Februar, der 7. Oktober und der 9. Juni“ statt.
Fotos: Natalia Reich
Am 2. Mai fand unter dem Thema „Memory Matters. Der 7. Oktober 2023 als Ende der Pluralen Erinnerungskultur?“ das Netzwerktreffen der CPPD statt.
Ausgangspunkt des Netzwerktreffens waren die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der nachfolgende Krieg in Gaza.
Phänomene, die im Diskurs abgebildet sind – u. a. Verunsicherung, Positionierungszwang, Angst, Definitionskämpfe, Entsolidarisierung und Polarisierung – wirken auf den Arbeitsbereich und die Strukturen des Netzwerks. Vor diesem Hintergrund verfolgte das Treffen das Anliegen, das Arbeiten der CPPD zum gegenwärtigen Konflikt zu reflektieren und neue Perspektiven für einen zukünftigen Umgang zu entwerfen.
Während des Treffens kamen Mitglieder aus dem CPPD-Netzwerk in parallel stattfindenden Diskussionsrunden zusammen. Dabei ging es nach einer einführenden Bestandsaufnahme u.a. um Herausforderungen der CPPD im Umgang mit dem 7. Oktober und den Krieg in Gaza. Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Verortung deutscher und europäischer Erinnerungskulturen und ihren vielfältigen Bezügen zum Thema. Zudem wurden Formen der Solidarität diskutiert, die das Ausspielen marginalisierter Gruppen gegeneinander reduzieren. Schließlich reflektierte das Netzwerktreffen im Spezifischen die Arbeit der CPPD: Welche Maßnahmen kann die CPPD aus den gewonnen Einsichten auch zukünftig ergreifen?
Der Austausch zwischen den Mitgliedern zeigte die unterschiedlichen Bezüge der Teilnehmenden zum Thema auf. Allgemein wurde das Netzwerktreffen als Anlass dazu genommen, Neu-Justierungen in der gemeinsamen Arbeit vorzunehmen. Konkrete Maßnahmen und Formen der Selbstverpflichtung wurden benannt.
Es hat sich erneut gezeigt, dass gerade das persönliche, offene Sprechen unter den Mitgliedern der CPPD einen ganz besonderen Wert hat: dass ein Raum geschaffen werden konnte, in dem die Mitglieder aus unterschiedlichsten persönlichen wie auch fachlichen Perspektiven miteinander sprechen können, von einander lernen können, gemeinsame Strategien entwickeln können.
Die CPPD durfte einen Beitrag im GedenkstättenRundbrief der Stiftung Topografie des Terrors über Ansätze und Grundbedingungen Pluralen Erinnerns veröffentlichen. Dabei wird auch die Arbeit der CPPD vorgestellt und in Kontext mit Pluralen Erinnerungformen gesetzt.
Nachzulesen kann man den Beitrag auf der Website des Gedenkstättenforums sowie auf unserer Website unter Publikationen.
Der GedenkstättenRundbrief ist eine Zeitschrift des Gedenkstättenreferats, einer Abteilung der Stiftung Topographie des Terrors. Die Zeitschrift setzt sich gezielt mit Themen aus dem Tätigkeitsfeld der Gedenkstätten für NS-Opfer befasst. Sie erscheint vier Mal pro Jahr als Printausgabe und kann im Abonnement gebührenpflichtig bezogen werden. Es werden Beiträge zur Debatte von aktuellen Themen publiziert, Berichte über neue Gedenkstätten oder besondere Aktivitäten und Projekte in einzelnen Institutionen veröffentlicht. Zudem enthält der Rundbrief einen Serviceteil, im dem sowohl auf ausgewählte Veranstaltungen als auch neu erschienene Literatur hingewiesen wird.
»Memory Matters« bezieht sich sowohl auf die zentrale Bedeutung von Erinnerungskulturen für unsere europäische Gesellschaft als auch auf die einzelnen Referenzpunkte unseres Erinnerns. Konkret bedeutet das Jahresmotto für uns, die Bedeutung von Erinnerungskulturen weiter in der Wissenschaft, im öffentlichen Diskurs und den Künsten in Europa zu stärken. Zudem möchten wir die Referenzpunkte des Erinnerns weiter pluralisieren.
2024 wird die CPPD eine dezentrale Festival-Reihe in verschiedenen deutschen Städten realisieren. Es werden ganztägig Veranstaltungen organisiert, die Workshops, künstlerische Positionen und abschließende Diskussionen umfassen und sich den vielfältigen Themen einer pluralistischen Erinnerungskultur widmen.
Veranstaltungen »Memory Matters« in Dresden: 22. & 30. September 2024