Der Kindertag und seine Bedeutung

Dan Thy Nguyen

Der Kindertag ist ein internationaler Gedenktag, der ins Leben gerufen wurde, um das Bewusstsein für die Rechte und das Wohl von Kindern weltweit zu schärfen. Seit seiner Einführung durch die Vereinten Nationen im Jahr 1954 wird der Kindertag in vielen Ländern an unterschiedlichen Tagen gefeiert. Sein primäres Ziel ist es, die internationale Gemeinschaft daran zu erinnern, dass Kinder eine besonders schutzbedürftige Gruppe sind, die spezifische Rechte besitzt, die es zu wahren gilt. Dieser Tag dient nicht nur der Sensibilisierung, sondern auch der Förderung von Maßnahmen, die darauf abzielen, die Lebensbedingungen von Kindern zu verbessern. Dennoch bleibt der Kindertag trotz seiner symbolischen Bedeutung in vielerlei Hinsicht begrenzt, da Kinderrechte auf internationaler Ebene kein bindendes Recht darstellen.

Historische Entwicklung
Das heutige Eintreten für Kinderrechte ist das Ergebnis tiefgreifender sozialer und politischer Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Diese historischen Wurzeln umfassen eine Vielzahl von Reformbewegungen und Initiativen, die das Bewusstsein für die Rechte und das Wohlergehen von Kindern maßgeblich prägten. Während der industriellen Revolution war die Ausbeutung von Kinderarbeit ein weit verbreitetes Problem. Kinder wurden oft unter gefährlichen und gesundheitsschädlichen Bedingungen in Fabriken, Minen und anderen Industrien eingesetzt. Diese unmenschlichen Zustände riefen schließlich gesellschaftliche und politische Reformen hervor, die zu den ersten Gesetzen zur Regulierung der Kinderarbeit führten. Ein bedeutendes Beispiel ist der Factory Act von 1833 in Großbritannien, der den Einsatz von Kindern in Fabriken einschränkte und grundlegende Verbesserungen der Arbeitsbedingungen einleitete. Diese Reformen legten den Grundstein für den späteren Schutz von Kindern vor wirtschaftlicher Ausbeutung.

Parallel dazu wuchs im 19. Jahrhundert die Überzeugung, dass Bildung ein fundamentales Recht für alle Kinder sein sollte. Diese Erkenntnis führte zur Einführung obligatorischer Schulgesetze, die Kindern den Zugang zu Bildung ermöglichten und eine lebenswerte Alternative zur harten Arbeit boten. Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, wie sie beispielsweise 1763 in Preußen begann und im 19. Jahrhundert in vielen Ländern übernommen wurde, war ein wichtiger Schritt zur Förderung der Chancengleichheit und zur Anerkennung der Bildung als grundlegendes Kinderrecht. In dieser Zeit engagierten sich auch zahlreiche philanthropische Organisationen und Einzelpersonen für das Wohl von Kindern, insbesondere für jene, die unter Armut und Vernachlässigung litten.

Im späten 19. Jahrhundert entstand zudem die systematische Kinderschutzbewegung, besonders in den Vereinigten Staaten und Europa. Diese Bewegung setzte sich dafür ein, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor Missbrauch und Vernachlässigung zu etablieren. Ein Meilenstein war die Gründung der New York Society for the Prevention of Cruelty to Children (NYSPCC) im Jahr 1875, die als erste Organisation dieser Art den Schutz von Kindern in den Vordergrund stellte und somit den Weg für weitere rechtliche und soziale Schutzmechanismen ebnete.

Auch die Frauenrechtsbewegungen spielten eine bedeutende Rolle im Kampf für Kinderrechte. Viele frühe Feministinnen erkannten, dass die Verbesserung der Rechte von Frauen eng mit dem Wohlergehen von Kindern verknüpft war. Organisationen wie die 1899 in den USA gegründete National Consumers League (NCL) kämpften nicht nur gegen ausbeuterische Arbeitspraktiken, sondern setzten sich auch für bessere Lebensbedingungen für Mütter und Kinder ein.

Der erste nationale Kindertag
Vor diesem Hintergrund entstand der erste nationale Kindertag nicht isoliert, sondern auf einer breiten Grundlage von Reformbewegungen und gesellschaftlichen Entwicklungen. So erklärte die türkische Regierung schon 1920 den 23. April zum „Tag des Kindes“ (türkisch: „Ulusal Egemenlik ve Çocuk Bayramı“) – lange vor den internationalen Initiativen. Dieser Tag wurde ins Leben gerufen, um die Bedeutung der Kinder für die Zukunft des Landes zu betonen und fällt mit dem Jahrestag der Gründung des türkischen Parlaments zusammen. Der „Tag des Kindes“ symbolisiert sowohl die nationale Souveränität als auch die zentrale Rolle der Kinder als zukünftige Träger dieser Souveränität. Bis heute wird dieser Tag in der Türkei feierlich begangen, wobei Kinder aktiv an den Feierlichkeiten teilnehmen und symbolisch die Rollen von Regierungsvertreter*innen übernehmen, um die Bedeutung der nächsten Generation für die Nation zu unterstreichen. Dieser frühe Fokus auf Kinderrechte in der Türkei inspirierte später andere Länder und trug wesentlich zur Etablierung des Kindertags als globales Phänomen bei.

Die Genfer Erklärung
Aufgerüttelt durch das massenhafte Elend von Geflüchtetenkindern, insbesondere in Mittelosteuropa nach dem Ersten Weltkrieg, gründete die englische Grundschullehrerin Eglantyne Jebb das britische Komitee „Save the Children“. Diese Organisation setzte sich für die Rechte und das Wohl der Kinder ein, die durch die Kriegswirren in Armut und Not geraten waren. Überzeugt von der Notwendigkeit, auf internationaler Ebene für die Interessen des Kindes einzutreten, entwarf Jebb ein Fünf-Punkte-Programm, das sie 1923 an den Völkerbund in Genf sandte. Diese Charta, die als „Genfer Erklärung“ bekannt wurde, stellte einen revolutionären Schritt dar, indem sie die Rechte von Kindern zum ersten Mal explizit in den Mittelpunkt der internationalen Politik rückte. Am 24. September 1924 wurde diese Erklärung von der Generalversammlung des Völkerbundes verabschiedet und bildete damit den Grundstein für die spätere Entwicklung internationaler Kinderrechtskonventionen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der Vereinten Nationen (UNO) nahm die Fokussierung auf allgemeine Kinderrechte wieder an Bedeutung zu. Die Gründung der UNO am 26. Juni 1945 markierte einen entscheidenden Wendepunkt in den globalen Bemühungen um den Schutz der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Kindern. Mit der Gründung der UNO und der darauffolgenden Auflösung des Völkerbundes im Jahr 1946 verlor die Genfer Erklärung jedoch ihre völkerrechtliche Grundlage, da sie von den Vereinten Nationen zunächst nicht übernommen wurde. Dennoch blieben die Prinzipien der Erklärung im Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft präsent und bildeten eine wichtige Grundlage für spätere Entwicklungen im Bereich des Kinderschutzes.

Der Kalte Krieg
In der Zeit des aufkeimenden Kalten Krieges und der daraus resultierenden Blockbildung entwickelten sich unterschiedliche Prozesse zur Etablierung von Kindertagen, die die politischen und ideologischen Differenzen zwischen den beiden Lagern widerspiegelten. Im sozialistischen Block wurde der Internationale Kindertag 1949 auf Initiative des 2. Weltkongress der Internationalen Demokratischen Frauenföderation am 1. Juni etabliert. Bereits im Jahr 1950 wurde dieser Tag in vielen sozialistischen Ländern begangen. Der Internationale Kindertag wurde in den sozialistischen Staaten als „Kampftag für die glückliche und friedliche Zukunft aller Kinder“ verstanden und diente nicht nur dem Schutz von Kindern, sondern auch der politischen Mobilisierung und der Betonung sozialistischer Ideale.

Im Block des sogenannten „politischen Westens“ hingegen wurde am 21. September 1954 der Weltkindertag von der 9. Vollversammlung der Vereinten Nationen empfohlen. Dieser Tag sollte den Einsatz für die Rechte der Kinder sowie die Freundschaft unter den Kindern und Jugendlichen weltweit fördern. Zudem wurden die Regierungen dazu aufgerufen, sich einmal im Jahr öffentlich zur Unterstützung der Arbeit des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF zu verpflichten. Die Wahl des genauen Datums und die Art der Feierlichkeiten wurden den UN-Mitgliedsstaaten freigestellt, was zu einer Vielfalt von Ansätzen führte. Während der Internationale Kindertag im sozialistischen Block fest verankert war, entwickelte sich der Weltkindertag in den westlichen Ländern flexibler und weniger politisch aufgeladen.

Trotz der unterschiedlichen Ansätze und ideologischen Hintergründe in den beiden Blöcken trugen beide Traditionen maßgeblich dazu bei, das Bewusstsein für die Rechte und das Wohl von Kindern weltweit zu schärfen. Doch erst 1989 wurde das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ von der UN-Generalversammlung völkerrechtlich verbindlich verabschiedet. Es ist damit eine verhältnismäßig junge Konvention.

Die Besonderheit des Kindertages in Deutschland
Eine besondere Eigenheit des Kindertages in Deutschland ist die Tatsache, dass er an zwei verschiedenen Daten gefeiert wird: am 1. Juni und am 20. September. Diese doppelte Feierlichkeit spiegelt die historische Teilung Deutschlands während des Kalten Krieges wider und verdeutlicht zugleich, dass trotz einer gemeinsamen Gegenwart die historischen Unterschiede nachwirken und sich in kulturellen Praktiken manifestieren. In der DDR wurde der Internationale Kindertag am 1. Juni eingeführt und war stark politisch geprägt. Er diente dazu, das sozialistische Engagement für die Kinder und die Zukunft des Landes zu demonstrieren und war ein wichtiger staatspolitischer Bestandteil, der die Bedeutung der Kinder für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft betonte.

Im Gegensatz dazu feierte die Bundesrepublik Deutschland den Weltkindertag am 20. September. Dieser Tag, der in Westdeutschland eingeführt wurde, hatte einen stärker sozial geprägten Charakter. Der Weltkindertag betonte die universellen Kinderrechte und stellte das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt der Gesellschaft, unabhängig von politischen Ideologien.

Nach dem Mauerfall wurden beide Termine beibehalten. Während der 1. Juni insbesondere in den neuen Bundesländern weiterhin eine große Bedeutung hat, wird der 20. September als offizieller Weltkindertag in ganz Deutschland gefeiert.

Postkoloniale Kritik
Die postkoloniale und internationale Kritik an Kinderrechten beleuchtet die Herausforderungen und Spannungen, die mit der universellen Anwendung des Weltkindertages verbunden sind. Von postkolonialen Kritiker*innen wird darauf hingewiesen, dass die zugrunde liegenden Konzepte oft stark von westlichen Vorstellungen geprägt sind, die nicht immer die kulturellen und sozialen Realitäten in anderen Teilen der Welt widerspiegeln.

In vielen nicht-„westlich“ geprägten Gesellschaften existieren unterschiedliche Auffassungen von Kindheit, Familie und Gemeinschaft, die von den „westlichen“ Modellen, die dem Weltkindertag zugrunde liegen, abweichen. Die universelle Anwendung der Kinderrechte, wie sie am Weltkindertag propagiert werden, kann daher lokale Traditionen und Normen übergehen und stattdessen „westliche“ Werte in den Vordergrund stellen. Dies führt zu Spannungen, wenn hegemonial gewordene, internationale „Standards“ auf andere Gesellschaften übertragen werden. In diesem Kontext neigt der Weltkindertag auch dazu, eine westlich geprägte Sichtweise von Kindheit zu fördern, die auf Schutzbedürftigkeit und Abhängigkeit basiert und Kinder homogenisiert. In vielen Kulturen übernehmen Kinder jedoch frühzeitig Verantwortung innerhalb der Familie und Gemeinschaft, was nicht immer ausreichend berücksichtigt wird.

Darüber hinaus wird die Rolle des Weltkindertages im Kontext globaler Machtverhältnisse kritisiert. Die Durchsetzung und Überwachung von Kinderrechten, wie sie am Weltkindertag thematisiert werden, erfolgt oft durch internationale Organisationen und Akteure aus dem Globalen Norden. Diese Organisationen definieren häufig die „richtige“ Art und Weise, wie Kinder geschützt und erzogen werden sollen, was als Fortsetzung neokolonialer Dynamiken gesehen wird. Länder des Globalen Südens werden in diesem Prozess oft als Empfänger von „Hilfe“ betrachtet und somit ein „top-down“-Ansatz perpetuiert, der lokale Akteure und Gemeinschaften nicht ausreichend in die Entscheidungsprozesse einbezieht.

Die postkoloniale Kritik fordert daher eine reflexivere und inklusivere Herangehensweise an den Weltkindertag, die Machtverhältnisse und kulturelle Unterschiede anerkennt und respektiert.

Fazit
Der Kindertag ist ein internationaler Gedenktag, der das Bewusstsein für die Rechte und das Wohl von Kindern weltweit schärfen soll. Obwohl internationale Abkommen wie die UN-Kinderrechtskonvention von vielen Staaten ratifiziert wurden, obliegt die tatsächliche Umsetzung und Durchsetzung dieser Rechte weitgehend den einzelnen Ländern. Dies führt zu erheblichen Unterschieden in der Handhabung von Kinderrechten weltweit, die stark von den politischen und sozialen Bedingungen der jeweiligen Staaten abhängen. In vielen Ländern sind die Kinderrechte eher ein idealistisches Ziel als eine rechtlich durchsetzbare Realität. Dadurch werden allgemeine Kinderrechte auf politischer und legislativer Ebene, und damit der Schutz und die Förderung unserer nächsten Generationen leider oft nur als sekundär betrachtet. Ihre tatsächliche Umsetzung und Priorisierung bleibt in vielen Ländern hinter anderen politischen Agenden zurück. Die Leidtragenden sind letztlich die Kinder selbst, deren Bedürfnisse und Rechte von Erwachsenen, die einst selbst Kinder waren, nicht die gebotene Aufmerksamkeit erfahren. Der Kindertag bleibt daher ein symbolisch wichtiger, aber nicht rechtlich verbindlicher Anlass, um die Rechte von Kindern in den Fokus der internationalen Gemeinschaft zu rücken. In diesem Prozess stehen wir als Weltgesellschaft aber erst am Anfang.

Literaturhinweise:

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