„Wilder Streik“ bei Ford

Andrea Hanna Hünniger

Der „wilde Streik“ bei Ford sorgte in der Bundesrepublik für Aufsehen: Es war der Höhepunkt mehrerer hundert Arbeitskämpfe im Jahr 1973, die oft vor allem von „Gastarbeiter*innen“ getragen wurden – von denjenigen, die oft die schwerste Arbeit machten und deutlich schlechter bezahlt wurden als die deutsche Stammbelegschaft.

Über Tage legte ein Großteil der damals rund 16.000 migrantischen Arbeitskräfte aus Jugoslawien, Italien und vor allem der Türkei die Arbeit nieder. Sie besetzten zeitweise das Kölner Werksgelände, um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Bis zu 6.000 Arbeiter*innen beteiligten sich tagsüber aktiv an dem knapp einwöchigen Arbeitskampf.

Der wilde Streik bei Ford Köln, vor 50 Jahren im Sommer 1973, ist wohl derjenige, der sich erinnerungskulturell am prominentesten in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingewoben hat – ein Streik, der nicht nur in der Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen endete.

„Wild“ war dieser Streik, weil er von Teilen der Belegschaft und ohne Zustimmung der Gewerkschaft organisiert und durchgeführt wurde. Bei Ford in Köln war dieser überwiegend von der türkischen Belegschaft getragene Streik in der Woche vom 24. August als Antwort auf die verschärfte Situation der ohnehin benachteiligten migrantischen Arbeiter*innen zu verstehen.

Die Automobilindustrie mit starken gewerkschaftlichen Strukturen galt zumeist als vergleichsweise gut bezahlende Arbeitgeberin für angeworbene Arbeiter*innen (gegenüber den vielen anderen Branchen mit ausbeuterischen Bedingungen und Niedriglöhnen). In der Praxis bedeutete dies bei Ford dennoch, dass Migrant*innen im Vergleich zu den deutschen Arbeitnehmer*innen durchschnittlich schlechter entlohnt wurden. Rund 38 % der Gesamtbelegschaft waren türkisch; gleichzeitig machten sie ganze 60 % der Arbeiter*innen im Kölner Werk aus und verrichteten wiederum gar 90 % der besonders niedrig entlohnten Arbeit am Band. Die rassistischen Benachteiligungen für migrantische Arbeitnehmer*innen  beschränkten sich dabei nicht auf die Auswahl der ihnen zugeteilten Stellen oder die Vergütung. „Nach einer Untersuchung des Landes Nordrhein-Westfalen zahlen sie gleichwohl 30 Prozent höhere Mieten als die Deutschen, berichtete schon der SPIEGEL 1973, um nur ein Beispiel zu nennen.

Der Streik hatte begonnen, weil Ford-Personal-Vorstand Horst Bergemann 300 von insgesamt 2.500 Türk*innen fristlos entlassen wollte, da diese wiederholt verspätet aus den Werksferien zurückgekehrt waren. Nach dem Anlass ihrer Verspätung hatte die Personalverwaltung von Ford in Köln nicht viel gefragt.

Anlass aber waren bei vielen Türk*innen Dauer und Strapaze der Reise zwischen Köln und dem Heimatort in der Türkei gewesen. Für die Ford-Werker bedeutete dies oft ein Abenteuer von zwei Wochen Hin- und Rückfahrt – genau die Hälfte des Urlaubs. Diese Beschwerlichkeit betraf auch Flugreisende.

Viele Beschäftigte begründeten ihre Verspätung mit Krankheit. Doch was etwa in Westdeutschland inzwischen zur Routine geworden war, wurde in der Heimat zum Problem: Es fand sich kaum ein Arzt, der ein Attest ausschrieb. Die ärztliche Versorgung im türkischen Binnenland war dünn, weil kaum einer seinen Arzt anders als mit Naturalien bezahlen konnte.

Horst Bergemann fand die Entlassung der 300 „nicht dramatisch“ – überfahren von der Werksleitung, verlassen von den Betriebsräten, unverstanden von den deutschen Kolleg*innen und in der Rechts-Presse geschmäht, sahen sich die Betroffenen bei Ford am Ende ihres Streiks weiter in die Isolierung gedrängt als zuvor.

Obwohl die Proteste gewaltsam aufgelöst wurden, sagte später einer der Streikenden: „Es war ja nicht nur eine Niederlage, es war auch ein Anfang. Der brave Gastarbeiter war tot, ab jetzt ging es um Augenhöhe.

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