Warschauer Aufstand

Andrea Hanna Hünniger

1944 erhob sich die Polnische Heimatarmee gegen die Nationalsozialist*innen. Heute wird der Warschauer Aufstand häufig mit dem Warschauer Ghettoaufstand von 1943 verwechselt.

Der Ghettoaufstand 1943 war ein bewaffneter Kampf der jüdischen Widerstandsgruppen in Warschau. Er scheiterte nach rund vier Wochen am 16. Mai 1943. Das jüdische Viertel wurde in der Folge dem Erdboden gleichgemacht.

Der Warschauer Aufstand war hingegen eine militärische Aktion der Heimatarmee, die Teil des polnischen Untergrundstaates war und auf dem gesamten besetzten polnischen Gebiet agierte. Er dauerte vom 1. August 1944 bis zur Kapitulation am 2. Oktober 1944 an.

Der Warschauer Aufstand hatte zwei Ziele, die eng miteinander verbunden waren:

Die angeschlagenen Deutschen aus der Stadt zu vertreiben: Die Wehrmacht war im Sommer 1944 bereits auf dem Rückzug, die Rote Armee näherte sich Warschau. Die Stadtbewohner*innen konnten sehen, wie verletzte Wehrmachtsoldaten von der Ostfront durch die Stadt zogen. Die Nachricht vom Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli weckte die Hoffnung, dass der NS-Staat kollabieren würde. In Polen ging man davon aus, dass das der geeignete Moment für einen bewaffneten Aufstand sei und die Deutschen keinen großen Widerstand leisten würden.

Das zweite Ziel: Der heranrückenden Roten Armee bei der Befreiung der Stadt zuvorzukommen und eine polnische Verwaltung zu installieren, bevor es die Sowjets tun konnten. Bei der Befreiung anderer Städte wie Wilna, Lemberg (beide vor dem Zweiten Weltkrieg Teil des polnischen Staates) oder Lublin hatte sich nämlich zuvor gezeigt, dass sich die Sowjets nicht an Absprachen hielten, Offiziere der Heimatarmee verhafteten und eine kommunistische Verwaltung installierten. In Warschau fürchtete man deshalb, mit der Einnahme der Stadt durch die Rote Armee endgültig in die Einflusssphäre der Sowjetunion zu fallen oder gar eine Sowjetrepublik zu werden, wenn man keinen Versuch unternehmen würde, die Befreiung aus eigener Kraft zu schaffen.

Der Führung der Heimatarmee war allerdings bewusst, dass der Aufstand nur gelingen kann, wenn die Rote Armee gleichzeitig die Deutschen militärisch unter Druck setzt. Der Zeitpunkt musste daher genau abgestimmt werden und sollte auf den Zeitpunkt fallen, an dem die Sowjets kurz vor ihrem Angriff auf Warschau standen. Weil es jedoch keine direkte Kommunikation zwischen der Heimatarmee und Roten Armee gab, konnte die Aktion nicht koordiniert werden. Was in Polen zu diesem Zeitpunkt unklar war: Die Einteilung der Einflusszonen zwischen den Westalliierten und Stalin ist bereits ein Jahr zuvor in Teheran beschlossen worden.

Vor diesem Hintergrund schlug die Planung der Heimatarmee fehl. Die Rote Armee blieb mit ihren Truppen am östlichen Weichselufer stehen und sah aus der Ferne tatenlos zu, wie der Aufstand am 1. August 1944 ausbrach. Und die Deutschen dachten nicht daran, die Stadt kampflos aufzugeben und orderten Verstärkungen an. Die Aufständischen waren viel zu schlecht bewaffnet, um gegen eine Armee mit Panzern, Luftwaffe und schwerer Artillerie bestehen zu können – die meisten von ihnen waren nicht einmal mit einer Pistole bewaffnet.

Trotz dieses Ungleichgewichts und obwohl der Aufstand auf höchstens sieben Tage ausgelegt war, leistete die Heimatarmee 63 Tage lang erbitterten Widerstand. Der Preis dafür war extrem hoch: Die Niederlage hatte eine fast völlige Zerstörung der Stadt und den Tod von etwa 200.000 Menschen zur Folge. Der Großteil der Opfer waren Zivilist*innen, von denen zehntausende bei Massenexekutionen getötet wurden. Die sowjetischen Truppen marschierten erst am 17. Januar 1945 in das Zentrum von Warschau ein.

Die Entscheidung zum Ausbruch wird retrospektiv kritisch diskutiert. Der Aufstand wird von großen Teilen der Forschung als militärisch schlecht vorbereitet und politisch unsinnig bewertet. Es wird einerseits das Heldentum der einfachen Soldaten gewürdigt, andererseits aber die Entscheidung der Heimatarmee-Führung gerügt, diese teils sehr jungen Menschen unvorbereitet in einen – aus heutiger Sicht – wenig aussichtsreichen Kampf geschickt zu haben. Sie wird für die Zerstörung der Stadt durch die Deutschen und den Tod der Zivilist*innen verantwortlich gemacht.

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