11. April 1980: Vertrag über die Entsendung von Vertragsarbeiter*innen zwischen der DDR und Vietnam

Nhi Le

Ohne diesen Vertrag wären meine Eltern nicht in die DDR gekommen. Sie hätten sich nie in Chemnitz kennengelernt. Mich hätte es nie gegeben.

Am 11. April 1980 schloss die DDR einen Vertrag mit Vietnam zur Entsendung von Arbeitskräften. Derartige Abkommen zur Ausbildung und Beschäftigung existierten zwischen der DDR und weiteren „sozialistischen Bruderstaaten” wie Algerien, Angola, China, Kuba, Mongolei, Mosambik, Polen und Ungarn. Während der Begriff und Geschichten der Gastarbeiter*innen in der alten Bundesrepublik bekannter sind, fehlt es bisweilen an einem öffentlichen Bewusstsein für die Lebensrealitäten der Vertragsarbeiter*innen.

Vietnamesische Vertragsarbeiter*innen arbeiteten oftmals unter schweren Bedingungen in Betrieben für Textil- und Lebensmittelindustrie, dem Maschinenbau und der Leicht- und Schwerindustrie. Einige wenige durften studieren. Die Aufenthalte in Deutschland sollten zeitlich begrenzt sein. Integration, Niederlassungen oder gar Familiengründungen waren nicht vorgesehen, weshalb der Alltag von strikten Reglementierungen geprägt waren. Die Menschen waren in betriebseigenen Wohnheimen auf engem Raum untergebracht. In der Regel teilten sich mehrere Personen ein Zimmer. Frauen, die verbotenerweise schwanger wurden, drohten Abschiebung oder Abtreibung.

Der Mauerfall und die Wiedervereinigung bedeuteten eine unsichere Zukunft für die Vertragsarbeiter*innen. 1990 wurde der Arbeitskräfte-Kooperationsvertrag zwischen Vietnam und Deutschland abgeändert, gültige Arbeitsverträge sollten auslaufen. Um eine Rückkehr in das immer noch vom Krieg und demnach Arbeitslosigkeit und Zerstörung geprägte Vietnam zu vermeiden, suchten viele Vietnames*innen Wege, um in Deutschland zu bleiben. Der ehemalige Vertragsarbeiter und mittlerweile Gastronom Thinh Van Nguyen erzählte in meiner MDR-Reportage zu vietnamesischen Ostdeutschen: „Es gab keine Arbeit, die Wohnungssuche war schwer. Wenn wir eine Wohnung mieten wollten, mussten wir die Miete selbst zahlen. Aber wer hatte das Geld dazu? Wir haben dann beim deutschen Arbeitsamt gefragt, wie man Arbeit sucht oder sich selbstständig macht. Die haben alles erklärt und wir uns dann selbstständig gemacht.” Diese notbedingte Selbstständigkeit führte zur Eröffnung von Textilständen auf Wochenmärkten, chinesischen Restaurants und Imbissen oder anderen Geschäften. Bis 1989 lebten gut 60000 Vietnames*innen in Ostdeutschland.

Die Jahre der Wiedervereinigung waren für viele Ostdeutsche von Umbrüchen, Arbeitslosigkeit und Frust geprägt. Für ehemalige Vertragsarbeiter*innen bedeutete die Zeit ein Anstieg an rassistischer Gewalt. „Wir kämpften mit Glatzköpfen, die dachten, wir hätten Deutschen ihre Arbeitsplätze geklaut. Das stimmte nicht. Es war eine sehr schwere Zeit von 1990 bis 1992. In der Zeit ist viel passiert. Es gab nicht mehr viele vietnamesische Familien. Meine Familie wurde sieben Mal im Jahr angegriffen, meine Wohnung wurde zerstört, meine Sachen wurden geklaut. (…) Ich meldete es der Polizei, der Ordnungsamt, doch damals war die Unterstützung gering.”

In den sogenannten Baseballschlägerjahren verübten Rechtsextreme sowie schaulustige Mitläufer*innen rassistische Pogrome unter anderem gegen Vietnames*innen wie in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992. Es gilt aber zu betonen, dass Vietnames*innen wie auch andere Migrant*innen nicht erst plötzlich in den neunziger Jahren rassistischer und rechter Gewalt ausgesetzt waren, sondern die Jahre nach der Wiedervereinigung einfach eine andere Intensität und Radikalität annahmen.

Von ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen zu erzählen, bedeutet für mich ostdeutsche und somit deutsche Geschichte zu erzählen. Ihre sowie die darauffolgenden Generationen prägen bis heute die ostdeutsche Migrationsgesellschaft. Eine Gesellschaft, die bis heute weder in Ost- noch Westdeutschland genügend wahrgenommen wird. Doch unsere bloße Existenz widerlegt das Bild eines homogenen Ostdeutschlands, das es so nie gegeben hat.

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