Am 3. März 2022 besetzten die russischen Truppen das ukrainische Dorf Jahidne im Gebiet Tschernihiw, das 50 Kilometer von der belarussisch-ukrainischen Grenze entfernt liegt. Sie befahlen allen Bewohner*innen – Männern, älteren Menschen, Frauen, Kindern – ihre Häuser zu verlassen und hielten sie gewaltsam im Keller einer Schule fest. Einen Monat lang waren 360 Menschen in dem engen Raum eingesperrt. Sie saßen, weil es unmöglich war, sich hinzulegen. Es gab nicht genug Nahrung, ein Eimer diente als Toilette, und der Sauerstoff war knapp. Viele der Menschen verloren den Verstand, manche starben unter der Besatzung.
Die 52-jährige Bewohnerin von Jahidne, Olha Menjailo, führte während der gesamten Zeit der Besatzung ein Tagebuch. Sie nahm es mit, um ihren Kindern Aufzeichnungen zu hinterlassen, falls alle ums Leben kämen. Trotz der fast völligen Dunkelheit im Keller schrieb Olha jeden Tag in der Dämmerung ein paar Sätze auf Papier.
„In der Kesselraum liegt die alte Musytschycha tot. Und die Leute dort wärmen Wasser, ziehen sich um und so weiter. Niemand beachtet das mehr. Niemand hat Angst vor den Toten“, schrieb Olha über die schrecklichen Ereignisse, die die Bewohner*innen von Jahidne erleben mussten.
Während der russischen Besatzung starben zehn Menschen an den unerträglichen Bedingungen, dem Mangel an medizinischer Hilfe, Sauerstoff und Nahrung. 13 weitere Menschen wurden von den russischen Besatzern erschossen.
„Man musste die Leichen einfach vergraben, damit sie sich nicht zersetzen und von Hunden herumgetragen werden. Wir nahmen Jarema Dmytro mit. Er hatte früher in der Kirche gedient und kannte das Ritual. Mein Mann ging mit ihnen, um beim Graben der Gräber zu helfen. Musyka, Indylo und Nikulina wurden in einem Grab beerdigt, und Ludany und Tolja in einem anderen.“
Die vollständige Version von Olha Menjailos Tagebuch wird bald vom ukrainischen Verlag „Laboratorija“[1] veröffentlicht. Weitere Informationen
können auch im „Time“ Magazin [2], der österreichischen Zeitschrift
„Die Presse“ [3] und anderen Quellen gelesen werden.
Am 31. März 2022 wurde das Dorf Jahidne von den ukrainischen Streitkräften befreit, doch das Dorf
erholt sich noch immer von den Traumata. Die Bewohner*innen fürchten am meisten eine erneute Besatzung.
[1] https://laboratory.ua/products/yagidne-schodennyk-z-pidvalu ↩︎
[2] https://time.com/6255183/ukraine-basement-yahidne-held-captive/ ↩︎
[3] https://www.diepresse.com/18209891/ein-ukrainisches-dorf-in-einen-keller-gepfercht-noch-einmal-ueberleben-wir-das-nicht ↩︎