Mord an Walter Lübcke

Andrea Hanna Hünniger

Am 2. Juni 2019 wurde Walter Lübcke von einem Rechtsextremen erschossen. Die Betroffenheit ist schwächer geworden, geblieben ist die Gefahr.

Der Mord an Walter Lübcke jährt sich zum fünften Mal und man kann diesen Gedanken in diesen Tagen und Wochen erneut haben, weil derzeit wieder vermehrt Politiker*innen angegriffen werden, die sich für die Demokratie und eine offene Gesellschaft einsetzen. Und man muss den Gedanken dann ebenso schnell wieder verwerfen, weil die Lebensgeschichte von Walter Lübcke sich nicht so liest, als sei er jemand gewesen, der sich etwas ersparen wollte.

Lübcke war seit 1986 Mitglied der CDU in Hessen. Zeitsoldat, später Landtagsabgeordneter und bis zu seinem Tod Regierungspräsident in Kassel. Schon früh engagierte er sich für Jugendliche und in der Bildungsarbeit und später für Geflüchtete. Ein empathischer Konservativer, ein Mann der Mitte.

Am Abend des 2. Juni 2019 wurde Walter Lübcke von einem rechtsextremen Fanatiker auf seiner Terrasse erschossen. Vor Gericht sagte dieser später aus, Lübckes Engagement für Geflüchtete habe ihn zu der Tat veranlasst.

Die Wucht des Anschlags hat zwei Dimensionen: Die eine ist sehr persönlich, die andere hochpolitisch. Persönlich sind die Folgen für die Angehörigen. Lübcke hatte eine Frau und zwei Söhne, der jüngere der beiden fand den Vater auf der Terrasse, versuchte noch, ihn zu reanimieren. Die Familie spricht bis heute kaum öffentlich über den Anschlag. Der Schmerz eines solchen Verlustes lässt sich sowieso kaum in Worte fassen.

Die zweite Dimension, die politische, reicht weit über Hessen hinaus, sie erfasst das ganze Land bis heute. Der Mord an Walter Lübcke war nicht nur der Angriff eines einzelnen Fanatikers auf einen Privatmann, sondern auch das Resultat andauernder Hetze demokratiefeindlicher Gruppen gegen den Staat und seiner Repräsentant*innen, das Resultat von Sätzen wie „Wir werden sie jagen“.

Die Tat steht in einer Reihe mit den Anschlägen von Halle, von Hanau und der Mordserie des NSU. Lübcke wurde erschossen, weil er sich dem Hass auf alles vermeintlich Fremde und dem Rassismus in der Gesellschaft entgegenstellte. Lübcke stand für etwas.

Lübcke sprach im Jahr 2015 bei mehreren Veranstaltungen über geplante Geflüchtetenunterkünfte. Bei einer dieser Reden hielten sich Störer im Raum auf, die fortwährend zwischenriefen. Lübcke entgegnete ihnen einen längeren Redebeitrag, der auch gefilmt wurde. Im Netz wurden – ohne Kontext der vorangegangenen Beleidigungen – nur die letzten Worte verbreitet. Sie lauteten: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

Nun ist selbst diese verkürzte Aussage noch gar nicht sonderlich problematisch. Sie wurde aber, vor allem in den damals noch sehr aktiven Pegida-Kreisen samt ihrer lokalen Ableger, mutwillig als eine Art Rauswurffantasie ausgelegt. Ab da wurde Lübcke zu einem Feindbild der extremen Rechten.

Erst die Ermordung Walter Lübckes veranlasste die CDU kurz darauf, ein öffentliches Statement zur sogenannten Brandmauer zu geben. Niemals, hieß es in dem Bekenntnis, werde es eine Zusammenarbeit mit der AfD geben zu dessen Stammtischen und Veranstaltungen der Täter im Übrigen immer wieder ging.

Die Brandmauer ist aber schon längst porös und rissig geworden. Immer wieder nähern sich Politiker*innen der AfD an. In diesem Jahr dürfte es in Ostdeutschland, nach den Kommunalwahlen zu heftigen Debatten kommen. Martina Schweinsburg, die in Greiz für die CDU kandidiert, kommentierte den Beschluss des Präsidiums so: „Hätten die, bevor die so was schreiben, mal lieber uns im Osten gefragt.“ Sie sagt, dass sie niemals mit Extremist*innen zusammenarbeiten würde. Aber sie findet: „Man darf doch von einem Einzelfall nicht auf alle schließen.“ Sie meint die Ermordung von Walter Lübcke.

Ein gefährliches Omen.

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