Einen der verheerendsten Einsätze seit der Verwendung von chemischen Kampfstoffen als Massenvernichtungswaffe führte die US-amerikanische Regierung in den 1970er-Jahren vor dem schwelenden Hintergrund des Kalten Krieges gegen den kommunistisch geführten Vietcong durch. Im Verlauf dieses Stellvertreterkrieges blieb er als einer der „größten chemischen Kriegsangriffe der Weltgeschichte“ nicht nur in den Köpfen der US-amerikanischen Veteranen verankert. Während „Apocalypse now“ als einer der ersten und einflussreichsten amerikanischen Antikriegsfilmklassiker des 20. Jahrhunderts den Vietnamkrieg erst 1979 kritisch thematisierte, verewigte der amerikanische Country-Musiker Joe McDonald die Giftgase über dem Dschungel in seinem Protestalbum gegen den Vietnamkrieg bereits 1967 mit dem „Agent Orange Song“:
„Oh the army tried some fancy stuff,
to bring them to their knees.
Like Agent Orange defoliant,
to kill the brush and trees.“
Im Verlauf des sogenannten Vietnamkrieges und entgegen dem wachsenden Widerstand der westlichen Länder flogen bis 1971 Flugzeuge und Helikopter der US-Luftwaffe über 6.000 Einsätze. In dieser Zeit versprühten sie flächendeckend bis zu 77 Millionen Liter Herbizide, darunter etwa 45 Millionen Liter „Agent Orange“. Das Herbizid, das nach dem orangefarbenen Kennungsstreifen auf den Fässern benannt ist, diente der Entlaubung des dichten Blätterdschungels, um die Verstecke der Vietcong-Kämpfer*innen sichtbar zu machen und landwirtschaftlich genutzte Felder zu vernichten. Der darin enthaltene hochgiftige Bestandteil Tetrachlordibenzodioxin war jedoch auch für Menschen gesundheitlich verheerend und führte zu millionenfachen Todesopfern auf vietnamesischer und amerikanischer Seite. Nach acht Jahren Krieg und mehr als acht Millionen Tonnen abgeworfener Bomben zogen die USA 1972 ihre Bodentruppen aus dem Land ab: Für die USA war dies der erste verlorene Krieg.
Seit den 1970er-Jahren gilt in Vietnam und bei US-Veteranen der Einsatz von Agent Orange als die Hauptursache für eine ungewöhnlich hohe Zahl an körperlichen und psychischen Erkrankungen, Deformationen, Organschäden, Fehlgeburten und genetischen Schäden nachfolgender Generationen.
Der Krieg ist lange vorbei, aber das vietnamesische Volk ist immer noch mit der Agent-Orange-Katastrophe konfrontiert. In weiten Teilen des Landes sind Ökosysteme zerstört und viele Tier- und Pflanzenarten verschwunden. Auch nach über 30 Jahren ist die Dioxinbelastung im Blut einiger Vietnames*innen immer noch 100- bis 200-mal höher als im Toleranzbereich. Opferzahlen beruhen auf Schätzungen, zuverlässige Zahlen über Betroffene gibt es nicht.
Eine traurige Tatsache ist, dass es wenig staatliche Unterstützung für Opfer und deren Familien gibt. Ohne die Hilfe von NGOs würden viele Betroffene kaum überleben. Die USA unterstützen vietnamesische Betroffenen-Organisationen mit geringen Beträgen, ohne jedoch einzuräumen, dass es sich um erkrankte Überlebende von Agent Orange handelt. Für ihre eigenen von Agent Orange geschädigten Veteranen hingegen gelten ganz andere Maßstäbe: In den USA müssen Veteranen, die an den Folgen von Agent Orange leiden, keine aufwendigen Beweise erbringen. Von den vietnamesischen Überlebenden verlangen die US-Behörden dagegen Belege. Der Zusammenhang von Erkrankungen und Agent Orange wird hier trotz medizinischer Studien, die das Gegenteil beweisen, von der US-Regierung bestritten. Oft werden Ansprüche mit dem Hinweis abgewehrt, es gebe andere Dioxinquellen.
Dao Thi Nguyen, Vorsitzende in der Provinz Dong Nai von VAVA (Vietnam Association for Victims of Agent Orange/Dioxin), eine 2003 gegründete Organisation, die sich für die Mobilisierung aller Ressourcen zur Betreuung, Unterstützung und für Gerechtigkeit gegenüber vietnamesischen Agent-Orange-Opfern einsetzt, fordert Solidarität und „von den USA nach wie vor Gerechtigkeit. Die USA stecken zwar mittlerweile sehr viel Geld in die Sanierung der dioxinverseuchten Hotspots, doch brauchen wir mehr Unterstützung der Opfer von Agent Orange. Die USA müssen endlich die Verantwortung für sie übernehmen.“
Gegen das Vergessen initiierte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Vietnams 3 im Jahr 2004 den 10. August als Gedenktag. 34 Jahre nach Ende des sogenannten „Vietnamkrieges“ ist in Vietnam damit zum ersten Mal den Opfern des Herbizids „Agent Orange“ gedacht worden. Vom Weltfriedensrat wurde dieses Datum am 24. Oktober 2009 offiziell zum Internationalen Tag der Solidarität mit den vietnamesischen Opfern von Agent Orange erklärt.
26 Jahre nach Inkrafttreten der Chemical Weapons Convention (CWC) im April 1997, die im Laufe der folgenden Jahre von über 193 Staaten ratifiziert worden ist, gilt seit Mai 2018 das internationale Übereinkommen zum Verbot der Entwicklung, Herstellung, des Besitzes, der Weitergabe sowie des Einsatzes chemischer Waffen. Erst im Juli 2023 gab die US-Regierung bekannt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika die letzten der offiziell bekannten Chemiewaffen in den USA beseitigt haben.
* TCDD, umgangssprachlich: Dioxin oder seit 1976 auch als sogn. „Sevesogift“ bekannt